Ganz weit draußen

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anderthalb Jahrzehnte sind verstrichen, bis sich die UN-Mitgliedsstaaten am 4. März um 22 Uhr New Yorker Ortszeit endlich darauf einigten, die Hohe See besser zu schützen, die Meere außerhalb der nationalen 200-Seemeilen-Hoheitszonen. Nach einem rund 40-stündigen Sitzungsmarathon wurde der endgültige Abschlusstext des Abkommens über „Biodiversität jenseits nationaler Gesetzgebung“ (BBNJ) zwar noch nicht veröffentlicht, aber die Bestätigung zu einem späteren Zeitpunkt ist laut Sitzungsleitung nur noch eine Formsache.

Bei Umweltschutzorganisationen, Meeresforschern und Ministerinnen brach Jubel aus. Was Wunder, schließlich geht es um den größten zusammenhängenden Lebensraum auf unserem Planeten. Das Verhandlungsergebnis sei ein „historischer Erfolg für unsere Meere“, sagte Till Seidensticker, Meeresexperte von Greenpeace; ähnlich formulierte es auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Und für Karoline Schacht vom WWF steht der „New York-Moment“ für die Meere auf gleicher Stufe mit dem „Paris-Moment“ für den Klimaschutz.

Es ist in der Tat ein großer Schritt auf dem Weg zur Erreichung des Ziels, das die Weltnaturkonferenz im Dezember 2022 in Montreal vereinbart hat. Bis 2030 sollen 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden – mindestens. Die Hohe See umfasst rund 60 Prozent der Weltmeere und gehört: niemandem. Beziehungsweise allen. Für viele ein Freibrief, um sie nach Belieben zu nutzen, besser gesagt auszuplündern. Dem will die Staatengemeinschaft jetzt einen Riegel vorschieben.

Höchste Zeit, denn laut Weltnaturschutzorganisation IUCN sind fast zehn Prozent aller Lebewesen in den Ozeanen vom Aussterben bedroht. Gut ein Drittel aller Fischbestände gilt als überfischt, hinzu kommt die Verschmutzung, etwa durch Dünger, Plastikmüll oder auch Lärm. So geht das nicht weiter, denn: „Wir brauchen die Ozeane als Verbündete zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrisen“, sagt Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung und in New York Leiter der deutschen Delegation. Über die Hälfte des Sauerstoffs auf der Erde stammt aus den Meeren, die überdies freundlicherweise jedes Jahr rund 30 Prozent des vom Menschen erzeugten Kohlendioxids aufnehmen und so den Treibhauseffekt abmildern.

Dabei haben sie selbst mit diesem zu kämpfen. So wird es vielen Fischen bereits zu warm, sie flüchten auf der Suche nach neuen Lebensräumen in kühlere Gefilde, vor allem aus den tropischen Gewässern, aber auch aus Nord- und Ostsee. „Das Meer ist weit, das Meer ist blau/Im Wasser schwimmt ein Kabeljau“, reimte einst der Komiker Heinz Erhardt. Besagten Kabeljau und viele seiner Artgenossen zieht es in den kühleren Nordatlantik, mit potenziellen Folgen für das ökologische Gleichgewicht.

Bei aller Freude über das BBNJ-Abkommen steht fest, dass es noch ein Stück Arbeit sein wird, es mit Leben zu füllen. Immerhin: Für die Ausweisung der Schutzgebiete reicht eine Zweidrittelmehrheit, es gibt also kein Vetorecht (wie es etwa Russland und China gern gehabt hätten).

Aber wo genau sollen diese Gebiete liegen, wo die „blauen Korridore“ verlaufen, die den Walen ungestörtes Wandern ermöglichen sollen? Wie könnten die Umweltverträglichkeitsprüfungen aussehen, die für menschliche Aktivitäten außerhalb der geschützten Zonen vorgesehen sind? Was wird aus den Rohstoffen in der Tiefsee? Wie werden Gewinne aus marinen genetischen Ressourcen aufgeteilt? Wer zahlt? Und, sehr wichtig: Wie soll die Einhaltung der Schutzmaßnahmen kontrolliert werden? Aber bestimmt sind die Sektgläser bereits weggeräumt, die Ärmel hochgekrempelt, Köpfe und Computer eingeschaltet.

Wenn Sie jetzt Lust auf Meer bekommen haben: Davon gibt es reichlich im Greenpeace Magazin, und zwar in Heft 6.22 – über seine Schönheiten und Bedrohungen, mit viel Wissenswertem und Tipps zum Aktivwerden. Und in der allerneuesten Ausgabe (GPM 2.23) können Sie eine Reportage über Tiefseebergbau lesen.

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Redakteurin Kerstin Eitner, mit Nordseewasser getauft, freut sich über mehr Meeresschutz
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Von Vögeln und Tiefseetieren

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in unserem Hamburger Hinterhof zwitschert seit Tagen immer wieder irgendein Piepmatz. Schon ein paar Mal war ich mit dem Fernglas draußen und habe den großen Baum im Nachbargarten abgesucht, konnte den unbekannten Sänger aber nicht entdecken. Stattdessen habe ich in den weit ausladenden Ästen schöne Eichelhäher gesichtet, dicke Ringeltauben, ein supersüßes Gimpelpärchen und heute morgen einen Gartenbaumläufer. Das sind flinke und gut getarnte Winzlinge, die nicht nur an Stämmen empor-, sondern auch an der Unterseite von Ästen entlanghüpfen können ohne abzustürzen. Wie machen die das?

Ich weiß nun immer noch nicht, welcher Vogel mich ins Freie gelockt hat, aber egal: Jeder morgendliche Gartenbesuch hat mir ein paar entschleunigte Minuten vor dem Loseilen ins Büro beschert. Ich habe die kalte Morgenluft eingesogen, die Weitläufigkeit der noch laubfreien Baumkrone bewundert und mich am Dasein der Tiere erfreut. Das ist es, was auch viele „Ornis“ beschreiben, die große Teile ihrer Freizeit mit der Vogelbeobachtung verbringen und sich viel besser mit ihnen auskennen als ich: Die schlichte Existenz der Vögel, einfach ihr Da-Sein und die unmittelbare Erfahrung ihres Anblicks kann glücklich machen. Für viele sind sie die schönste Nebensache der Welt.

Aber natürlich sind Vögel alles andere als nebensächlich. Nachweislich tun sie nicht nur der Seele gut, sie spielen auch eine zentrale Rolle in beinahe allen Ökosystemen und sind überdies wichtige „Zeigerarten“: Ihre An- oder Abwesenheit verrät viel über den Gesundheitszustand und die Funktionsfähigkeit unserer Umwelt. In Deutschland schrumpfen vor allem die Populationen der Feld- und Wiesenvögel dramatisch, weil die einst vielfältige Agrarlandschaft zur weitgehend tierfreien Agrarsteppe geworden ist. Hier ist, ganz im Sinne der in Montreal beschlossenen Ziele zum Schutz der Biodiversität, eine radikale Kehrtwende nötig, um den Artenschwund aufzuhalten.

Im neuen Greenpeace Magazin, das in diesen Tagen in Briefkästen und Bahnhofskioske flattert, erfahren Sie auf fünfzig diesmal besonders bunt geratenen Seiten, wie es um die Vögel Deutschlands und der Welt steht. Wir begleiten in einer Reportage zwei enthusiastische Vogelbeobachtungteams beim alljährlichen „Birdrace“. Wir berichten von zauberhaften Rosalöfflern in Florida und von skrupellosen Singvogelwilderern in Italien. Wir nähern uns den Stadttauben an und analysieren die globale Lage der Vögel in Zeiten von Urwaldabholzung und Erderhitzung. Dazu gibt es Porträts von fünf deutschen Schicksalsvögeln – lassen Sie sich überraschen!

Auf den weiteren Seiten unserer aktuellen Ausgabe berichtet unser Reporter Issio Ehrich über Umweltbewegungen in der Türkei, wo nach aktuellem Stand trotz der Erdbebenkatastrophe im Mai ein neuer Präsident gewählt werden soll. Wissenschaftsjournalist Tim Kalvelage war für uns an Bord der „Sonne“ im tropischen Pazifik unterwegs, wo Forschende die drohenden ökologischen Folgen des des geplanten Tiefseebergbaus untersuchen. Lesen Sie ihre beiden spannenden Reportagen – und außerdem viel Wissenswertes über die Selbstversorgung mit Gemüse, über Humus als relevanten Rohstoff, über schlaue Wildschweine im Bayerischen Wald und über überdimensionierte Erdgasterminals an deutschen Küsten, die, würden sie alle wie geplant gebaut, Deutschlands Beitrag zum Erreichen des Pariser Klimaziels akut gefährden.

Am heutigen Friday for Future waren bundesweit Zehntausende gegen solchen Wahnsinn auf der Straße – ein guter Einstieg ins Wochenende, das die Abonnentinnen und Abonnenten unter Ihnen mit einem Ausflug in die Welt der Vögel verbringen können. Allen anderen empfehle ich den Kauf der neuen Ausgabe in unserem Warenhaus oder am Bahnhofskiosk!

Herzliche Grüße aus der Redaktion,

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Unser Redakteur Wolfgang Hassenstein überfliegt das neue Greenpeace Magazin
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Unter Würstchenverdacht

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am 24. Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine. Fallschirmspringer landeten in Hostomel, einem Vorort von Kiew. Ihr Auftrag: Flughafen Hostomel einnehmen, Kiew erobern, Regierung stürzen. Es kam anders. Kein Tag ist seither vergangen, an dem wir nicht Geschichten, Reportagen und Augenzeugenberichte über die und aus der Ukraine gehört, gesehen oder gelesen haben. Und über Russland und dessen Herrscher, der sich vor den Augen der fassungslosen Deutschen vom allzeit zuverlässigen Gas- und Öllieferanten in einen Diktator mit imperialen Gelüsten und eigener Geschichtsschreibung verwandelte, der die Zeit zurückdrehen will.

Unter den amtierenden Autokraten macht Putin derzeit zweifellos am meisten von sich reden; da können andere leicht in Vergessenheit geraten, aber Studien wie zum Beispiel der Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung oder der Democracy Index der Economist Intelligence Unit (EIU) kommen leider zu dem Schluss, dass es auf der Welt mehr autokratische als demokratische Staaten gibt. Ja, die Demokratie ist in Gefahr, das ist keine leere Floskel.

Nicht alle sind lupenreine Diktaturen, es gibt Hybridformen, doch in den meisten dieser Länder regiert ein durch Putsch, Wahlen oder auch durch „Erbfolge“ ins Amt gelangter Machthaber, der um sich eine kleine Clique aus Jasagern versammelt hat. Er ist Oberbefehlshaber des Militärs, kontrolliert Presse und Medien, verfügt über eine willfährige Justiz, manipuliert Wahlen (falls überhaupt welche stattfinden), hat Opposition und Zivilgesellschaft weitgehend kaltgestellt und lässt Gegner verhaften, einsperren oder umbringen, selbst im Ausland. Oft muss man nicht lange suchen, bis man in seinem Dunstkreis auf Repräsentanten des Klerus stößt, ob Patriarchen, evangelikale Prediger oder Imame, die ihm treu zur Seite stehen. Manchmal bestimmen die Geistlichen auch selbst die Politik, siehe Iran.

So weit, so offensichtlich. Aber was sind das nun eigentlich für Menschen, besser gesagt: Männer? Besonders intelligent oder begabt müssen Autokraten, meint der Autor Frank Dikötter, nicht unbedingt sein, dafür eitel, machtbewusst und gerissen. Um an der Macht zu bleiben, hilft es, die engsten Vertrauten allzeit spüren lassen, dass sie jederzeit in Ungnade fallen könnten oder Schlimmeres. Und die Kunst des Lügens sollte man schon beherrschen.

Man kann ihnen nicht in den Kopf schauen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Putins und Xis, die Kims und Assads, die Lukaschenkos und die Afewerkis, auch die Erdoğans und Orbáns im Grunde ziemliche Würstchen sind. Da können sie noch so viel dröhnende Rhetorik absondern, Judo machen, Raketentests bejubeln und Militärparaden abschreiten, in Wirklichkeit, denke ich, sind sie leicht zu verunsichern. Denn kaum hebt irgendwo jemand auch nur eine Augenbraue, fühlen sie sich gekränkt. Oder sie behaupten, ihr Gott sei beleidigt. Mitleid haben sie allenfalls mit sich selbst, Empathie ist ihnen wesensfremd. Auch Humor und Selbstironie sind nicht nachweisbar. Wehe, es tauchen satirische Zeichnungen, Gedichte, Lieder, Artikel oder Posts auf – sofort geht es den Verfasserinnen und Verfassern an den Kragen. Kunst und Kultur stehen prinzipiell unter Generalverdacht.

Es reicht im Grunde wenig, um die Herren aus der Fassung zu bringen: eine strahlend lächelnde Frau, die mit ihren Händen ein Herz formt. Eine Person, die sich allein mit einem weißen Blatt auf einen leeren Platz stellt. Eine zierliche ältere Dame mit einer Blume im Haar. Mädchen, die ohne Kopftuch in den Straßen tanzen. Ein Video, das den wahren Reichtum des angeblich so bescheiden lebenden Machthabers enthüllt. Oder ein Vergleich der Physiognomie des Staatschefs mit Pu dem Bären – dieser grundsympathischen, wenn auch etwas verfressenen Figur „von sehr geringem Verstand“ aus dem gleichnamigen Kinderbuch. Da hilft nur noch, die Verwendung des Begriffs „Pu der Bär“ zu verbieten. So wie Tibet, Dalai Lama, Homosexualität oder auch Krieg, der in Russland nur noch „militärische Spezialoperation“ heißen darf. Orwell lässt grüßen.

Alles in allem glaube ich, die Mächtigen verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, sich zu fürchten, was sie natürlich nie zugeben würden. Wovor? Vor allem natürlich vor dem eigenen Volk. Denn die ganze Macht, der Pomp, die Propaganda, die Vorkoster, Leibwächter und Einflüsterer werden nichts mehr nützen, wenn die Massen die Geduld verlieren und ihrerseits keine Angst mehr haben.

Das ist geschehen und kann wieder geschehen. Und sei es nur, weil irgendwann ein Kind ausruft: „Der Kaiser hat ja gar nichts an!“

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Unsere Redakteurin Kerstin Eitner betreibt Diktatoren-Bashing, aus gegebenem Anlass
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Trotz allem gut essen!

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wenn die Nachrichten voller Schrecken sind (teils menschengemachter Art wie in der Ukraine, teils aufgrund unvorstellbarer Naturgewalten wie in der Türkei und in Syrien, teils auch aufgrund von beidem wie gerade in Neuseeland), und wenn die Woche auch sonst mal wieder eine Herausforderung war, dann ist es absolut legitim, sich auf deren zweitägiges Ende zu freuen. Ist dann auch noch schlechtes Wetter angesagt, empfiehlt es sich umso mehr, erstmal die eigene Versorgungslage zu checken und gutes Essen einzukaufen.

Tröstlich sind dabei nicht nur die Kalorien, man kann mit der richtigen Wahl auch den Lauf der Dinge positiv beeinflussen – zum Beispiel indem man weniger Fleisch isst. Das hilft zwar nicht gegen Erdbeben und Angriffskriege, ist aber nachweislich gut für fast alles andere: Klima, Böden, Urwälder, Grundwasser, Meere, die eigene Gesundheit, die globale Lebensmittelversorgung, und für die Tiere sowieso.

Es ist eine Tatsache, die immer mehr Menschen beherzigen. Bereits seit 2016 sinkt die Zahl der hierzulande gehaltenen und geschlachteten Tiere, doch noch nie war der Rückgang so stark wie 2022. Deutsche Schlachtunternehmen „produzierten“ laut Statistischem Bundesamt zuletzt rund 600.000 Tonnen weniger Fleisch als im Vorjahr, ein Rückgang um 8,9 Prozent. In Tieren ausgedrückt: viereinhalb Millionen weniger Schweine wurden im Vergleich zu 2021 getötet, gut 200.000 weniger Rinder und rund 20 Millionen weniger Hühner, Puten und Enten. Ich versuche gerade, sie mir als Herde und als flatternden Schwarm vorzustellen.

Für den erstaunlich deutlichen Trend gibt es mehrere Gründe. Zuletzt machten die gestiegenen Kosten für Energie, Düngemittel und Futter infolge des Ukrainekrieges vielen Agrarbetrieben zu schaffen, und Verbraucherinnen und Verbraucher mussten aufgrund der Inflation kräftig sparen. Tatsächlich sinkt der Fleischkonsum aber unabhängig von den aktuellen Entwicklungen seit Jahren, weil sich Konsumgewohnheiten, Überzeugungen und Angebote verändern. Beinahe acht Millionen Menschen und damit ein Zehntel der Bevölkerung gibt mittlerweile an, sich vegetarisch zu ernähren, unter den 18- bis 34-Jährigen sind es sogar 17 Prozent. Mit knapp 1,6 Millionen Menschen leben überdies doppelt so viele wie vor sechs Jahren vegan. Insgesamt erklärt jeder und jede Zweite, den Fleischkonsum in den vergangenen Jahren reduziert zu haben.

Die meisten haben auch nichts dagegen, wenn die Politik bei der Ernährungsumstellung nachhilft. Laut einer Umfragestudie von Forschenden der Uni Hamburg, die gerade im Fachjournal „Nature Food“ erschienen ist, würde eine Mehrheit der Deutschen eine „Fleischsteuer“ von bis zu 40 Cent pro Kilogramm befürworten, jedenfalls, wenn die daraus gewonnenen Einnahmen dem Tierwohl zugute kämen – das zieht als Argument deutlich stärker als der Klimaschutz. Viel Zustimmung gibt es auch für eine verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsbedingungen, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sie plant. Zwar warnt Bauernpräsident Joachim Rukwied, es „brodele“ in der Schweinebranche, Özdemirs Vorhaben sei ein Programm, „das auf einen Abbau hinausläuft“. Aber ist nicht in vielen Ställen jetzt sowieso mehr Platz für eine bessere Haltung, also die erste Voraussetzung für den Umbau bereits geschaffen? Entscheidend ist doch, dass die Halterinnen und Halter mehr Geld pro Schwein bekommen! Und das gesunde Lebensmittel günstiger werden – zum Beispiel durch eine Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse.

In Nürnberg ist heute die „Biofach“ zu Ende gegangen, die weltgrößte Messe der ebenfalls krisengeschüttelten Biobranche. Dort seien vegane „Ersatzprodukte“ der Renner gewesen, heißt es. Deren Angebot steigt ständig, und allein aus Neugierde probiere ich ab und zu gern neue Produkte aus. Einige Fleisch-, Fisch- oder Milchprodukt-„Alternativen“ erweisen sich mittlerweile als erstaunliche Illusion, andere als verblüffend geschmacksfrei.

Es ist aber meiner Ansicht nach gar nicht immer nötig, Fleisch zu kopieren. Sehr lecker sind auch viele original fleischfreie Gerichte, zum Beispiel aus Indien, dem Mutterland der veganen Küche. Falls irgendwer noch keine Pläne fürs Wochenende hat, kann ich die Zubereitung eines Dhals (Linseneintopf) wärmstens empfehlen – man kann dabei fast nichts falsch machen und beliebig variieren. Etwa so: Öl in einen Topf, eine kleingeschnittene Zwiebel darin anbraten, nach zwei Minuten ein daumengroßes Stück Ingwer und ein paar Knoblauchzehen dazu (beides ebenfalls fein gehackt) sowie je einen Teelöffel zerstoßenen oder gemahlenen Kreuzkümmel und Koriander. (Als Variante irgendwelches übriggebliebene Gemüse schnippeln und mit anbraten.) Dann nach Belieben rote Linsen dazu, mit Wasser aufgießen. Kochen, bis die Linsen zerfallen und der gewünschte (dickflüssige) Aggregatzustand erreicht ist, eventuell noch Wasser dazu, mit Pfeffer, Salz und etwas Gemüsebrühe abschmecken und mit frischem Koriander und einem Schlag Joghurt (oder auch nicht) servieren. Tut der Seele und dem Planeten gut!

Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit und ein schönes Wochenende!

 

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Bloß nicht rumtrödeln

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wir sind zu langsam, Sie und ich und all die anderen, vor allem die Bevölkerungen der wohlhabenden Länder. Das besagt eine neue Studie: Das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, die weltweiten CO2-Emissionen also bis 2030 zu halbieren, sei unrealistisch, heißt es darin. Physikalisch sei das durchaus zu machen, aber der notwendige soziale Wandel verlaufe viel zu schleppend.

Falls es Sie tröstet, auf der Anklagebank sitzen neben uns und unserem Konsumverhalten auch die Unternehmen, die mehrheitlich unbekümmert so weitermachen wie immer. Löbliche Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Medien spielen eine zwiespältige Rolle, teils bremsen, teils beschleunigen die Beiträge und Artikel zum Thema die Transformation.

Zehn gesellschaftliche Faktoren, die für den Klimaschutz bedeutsam sind, hat ein Team aus Natur- und Sozialwissenschaften im „Hamburg Climate Futures Outlook 2023“ untersucht: die UN-Klimapolitik, die Gesetzgebung zum Klimaschutz, Proteste, soziale Bewegungen, transnationale Initiativen, Klagen und Gerichtsurteile wie etwa der Beschluss der Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, Konsumverhalten, Abzug von Investitionen aus der fossilen Wirtschaft, Wissensproduktion und Medien.

Bei den Sorgenkindern Wirtschaft und Kundschaft stoßen wir auf die alte Henne-oder-Ei-Problematik. Einerseits müssten Unternehmen auf neue Wünsche und geändertes Konsumverhalten reagieren, andererseits könnten sie mit klimaneutraler Wirtschaftsweise (nicht aber mit Greenwashing, versteht sich) und entsprechenden Produkten den Konsum in eine andere Richtung lenken.

Dazu ein kleiner Exkurs, der zeigt, wie es eben nicht laufen sollte: Seit Januar 2023 muss die Gastronomie neben Wegwerfverpackungen aus Plastik Mehrweglösungen als Alternative anbieten. Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) haben jedoch bei Testkäufen festgestellt, dass sehr viele To-go-Anbieter das nicht tun. Die DUH hat gegen einige bereits juristische Schritte eingeleitet. Allerdings wird Mehrweg auch nicht sehr stark nachgefragt – was wiederum daran liegen könnte, dass die Gastro-Betriebe nicht offensiv darüber informieren, wozu sie eigentlich verpflichtet sind.

Nun die Millionen-Euro-Frage: Wie lassen sich Verhaltensänderungen erreichen? Die kritische Masse für sogenannte soziale Kipppunkte, die zur Änderung sozialer Normen führen, liegt bei etwa einem Viertel der Bevölkerung. Der Kopf des Menschen ist aber eine ziemlich harte Nuss. Zunächst müsste mal jemand gründlich mit der Mär aufräumen, dass nur Daniel und Daniela Düsentrieb die Klimakrise aufhalten können. Technologische Innovationen allein – Batterien, Digitalisierung, smarte Geräte, Fahrzeuge und Häuser, synthetische Kraftstoffe, CO2-Rückholung aus der Atmosphäre oder gar Mondstaub zur Abkühlung: ohne sozialen Wandel alles ziemlich sinnlos. Damit die Sache in Schwung kommt, braucht es Kommunikation, Wissen, Vorbilder. Denn auch einzelne Personen können einen Unterschied machen, siehe Greta Thunberg.

Oder Innes FitzGerald. Die talentierte 16-jährige Langstreckenläuferin aus dem britischen Devon hat ihre Teilnahme an der Crosslauf-Weltmeisterschaft in Australien abgesagt. Begründung: Sie könne es mit Blick auf das Klima nicht verantworten, eine so weite Flugreise anzutreten und hoffe, dass weitere Athletinnen und Athleten sich über das Thema Gedanken machen würden. Das ist ihr nicht gerade erst eingefallen: Schon zur Europameisterschaft in Turin im Dezember reiste sie mit dem Zug.

Umsteuern ist natürlich auf allen Ebenen nötig, gerade jetzt. 2022 kamen in Deutschland 15,8 Millionen Tonnen zusätzliche CO2-Emissionen durch die gestiegene Kohleverstromung hinzu, eine Folge der Energiekrise. Das darf auf keinen Fall so bleiben – muss es auch nicht, denn laut Bundesnetzagentur ist die Versorgung auch bei einem Kohleausstieg bis 2030 gesichert. Wird es auch nicht, wenn es nach dem „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ geht. Im ehemaligen Braunkohlerevier Cottbus etwa haben sie offenbar Lust auf Zukunft. Sozialer Wandel? Aber gern!

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Redakteurin Kerstin Eitner hofft auf soziale Kipppunkte, und zwar schleunigst
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Schon wieder Grillsaison?

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die Grillsaison hat begonnen. Diese Nachricht hätte in diesem erstaunlich warmen Januar noch gefehlt, in dem Krokusse blühen, Münchner Biergärten öffnen und Fotos schmaler Skipisten kursieren, geschrumpft zu weißen Linien in teils schon ergrünter Alpenlandschaft. Da halfen nicht einmal mehr Schneekanonen, auch Aufschüttversuche per Hubschrauber blieben (zum Glück) erfolglos. Selbst wenn es jetzt zum Ende des Monats wieder kälter wird, die unheimliche Bilanz bleibt: Die erste Januarhälfte war die heißeste seit Beginn der Messungen 1881.

Schoko mit Schrecke

Aber es ist nicht nur gefühlt schon wieder Grillsaison, es ist auch Grillensaison. Pünktlich vor dem Finale des Dschungelcamps hat die Europäische Kommission am Dienstag nach Mehlwurm und Heuschrecke nun auch die Hausgrille Acheta domesticus als Lebensmittel zugelassen, genauso wie die Larven des Getreideschimmelkäfers. Beide Arten dürfen künftig gefroren, getrocknet, pulverisiert oder als Paste beigemischt verkauft werden. Bislang haben sich zwei Lebensmittelunternehmen die Erlaubnis für den Vertrieb erteilen lassen. Man stelle sich nur die Möglichkeiten vor: Insekten könnten bald in Brot, Suppen, Fleisch- und Milchersatz, Kartoffelprodukten oder Schokolade stecken. Der Markt dafür ist noch sehr klein, auch deswegen sind Lebensmittel mit Wurm drin bislang deutlich teurer als ohne.

Igitt? Zugegeben, was krabbelt und kriecht, klingt in europäischen Ohren nicht gerade appetitlich. Die Welternährungsorganisation (FAO) sieht darin allerdings einen Baustein für eine klimafreundliche und gesunde Nahrungsversorgung. Statt sich die Angelegenheit vorschnell madig zu machen, könnte man sich zumindest die delikate Frage stellen, warum hierzulande viele Menschen tierisches Eiweiß in Insektenform ablehnen, aber kein Problem damit haben, Schlachtabfälle in Süßwaren zu essen. Oder wie wir den weltweiten Bedarf an Proteinen decken, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Alles Fragen, bei denen Veganer und Vegetarierinnen meist schon weiter sind – ihnen bleibt diese Dschungelprüfung erspart.

Tank leer

Nicht mehr fragen muss sich seit dieser Woche Jacinda Ardern, wie sie ihr Amt als Premierministerin trotz Überbelastung fortführen soll: „Ich weiß, was man für diesen Job braucht, und ich weiß, dass ich nicht mehr genug im Tank habe“, sagte sie in ihrer Rücktrittsrede unter Tränen. In ihrer fünfjährigen Amtszeit musste sie viele Krisen managen: darunter den Terroranschlag von Christchurch, einen Vulkanausbruch, Corona. Meine Kollegin Frauke Ladleif hatte in unserem Frauen-Schwerpunkt (Ausgabe 6.21) Arderns politisches Ziel beschrieben, den Wohlstand ihres Landes nicht mehr nur am Wirtschaftswachstum zu bemessen, sondern auch am Wohlergehen von Mensch und Natur.

In Erinnerung würden nun jedoch vor allem ihr empathischer, fürsorglicher Führungsstil bleiben, ihr öffentlich vorgelebter Spagat zwischen Familie und Beruf, heißt es in vielen Medien zum Abschied. Mag schon sein, aber hätte man solche Maßstäbe auch an einen Mann angelegt? Jedenfalls blieben solche Haltungsnoten aus, als Arderns Amtsvorgänger John Key 2016 auch mit „nichts mehr im Tank“ zurücktrat. Apropos, Männer und Zurücktreten. Diese Woche verkündete Markus Söder – manche würden sagen: er drohte an –, nun doch länger als die versprochenen zehn Jahre Bayerns Ministerpräsident bleiben zu wollen. Ab 2028 gelte für ihn „zehn plus“, aufgrund der vielen Krisen sei einfach ein „langer Atem“ nötig. Zurücktreten oder am Sessel kleben – was für unterschiedliche Schlüsse man aus Krisen doch ziehen kann.

Alle Vögel sind… im Wald

Tatsache ist: Wir brüten derzeit emsig über der neuen Ausgabe des Greenpeace Magazins, deren Schwerpunkt sich um die ebenso faszinierende wie bedrohte Vogelwelt drehen wird. Passend dazu veröffentlichte der Nabu gerade die Ergebnisse seiner diesjährigen Winterzählung, an der sich 99.000 fleißige Bürgerinnen und Bürger beteiligt hatten. Ergebnis: Dieses Jahr kamen deutlich weniger Vögel an die Futterstellen als im Vorjahr. Besonders selten wurde neben Kernbeißer, Buntspecht und Buchfink der Eichelhäher gesichtet. Laut Nabu liegt das unter anderem an der großen Fülle an Baumfrüchten. Die Vögel sind nicht weg, sie schlagen sich nur lieber im Wald den Bauch voll.

Alles gut also? Nicht ganz: Häufiger aufeinanderfolgende Mastjahre, wie sie zuletzt aufgetreten sind, zehren in Zeiten der Klimakrise die Wälder aus – was irgendwann auch den Vögeln zum Verhängnis wird. Was die geflügelten Zeitgenossen sonst noch bedroht, wie wir ihnen helfen können und allerhand Erstaunliches aus der bunten Vogelwelt lesen Sie – pünktlich zur Rückkehr der Zugvögel – vom 3. März an im fertigen Heft.

Und weil in der Redaktion gerade so viel los ist, pausiert die Wochenauslese am kommenden Freitag, die nächste Ausgabe dieses Newsletters erhalten Sie am 10. Februar. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

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Was unseren Redakteur Thomas Merten diese Woche wurmt
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Transformation auf Speed

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ein Protestcamp wurde geräumt. Das dauerte ein bisschen: Menschen hatten sich hoch in den Bäumen oder in Baumhäusern verschanzt, saßen auf sogenannten Mono- oder Tripods. Es ging um Klimaschutz. Ja klar, höre ich Sie sagen: Lützerath, Braunkohle, Tagebau Garzweiler.

Diesmal nicht. Die Räumung fand ein ganzes Stück weiter südöstlich statt, im Fechenheimer Wald, der zum Frankfurter Stadtgebiet gehört, und das Thema war ein anderes: 2,7 Hektar Forst mit rund 1000 Bäumen sollen für einen 1,1 Kilometer langen Tunnel fallen. Dieser soll die Autobahnen 66 und 661 verbinden und liegt etwas abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Weniger Protestierende, weniger Prominenz, weniger Presse. Aber deshalb nicht unwichtig.

Hier haben wir nämlich ein weiteres Relikt des fossilen Zeitalters, das wir doch eigentlich hinter uns lassen wollten. Wer weiß, vielleicht passt es manchen ganz gut in den Kram, dass alle Scheinwerfer auf Lützerath gerichtet sind. Im medialen Halbschatten lassen sich gemütlich Tunnel bohren und Verkehrswege asphaltieren. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist sich jedenfalls mit sich selbst einig, dass es nicht nur an Schildern für Tempo 130 mangelt, sondern definitiv auch an Straßen, was sich seiner Ansicht nach dringend ändern muss.

Schaut man sich die Besetzungsliste des Autogipfels vom 10. Januar im Kanzleramt an, Tarnbezeichnung „Spitzengespräch der Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft“ (O-Ton Regierungssprecher Steffen Hebestreit), dann sieht man: Mobilität ist hierzulande immer noch vor allem Automobilität. Anwesend waren bei dem Treffen mit ein, zwei Ausnahmen ausschließlich Vertreter und Vertreterinnen von Auto- und Zulieferindustrie plus Gewerkschaften. Bahn, ÖPNV und Fahrrad fanden hier nicht statt, sehr zum Missfallen der entsprechenden Verbände.

Es ging hauptsächlich darum, wie man mehr E-Autos auf die vielen schönen Straßen bringt, wie also das Ziel von 15 Millionen stromgetriebenen Pkw bis 2030 erreicht werden kann, die dann wohl zu den (bislang) 48 Millionen benzin- und dieselgetriebenen Privatfahrzeugen hinzukommen. Über den Abbau von Subventionen und Steuerbegünstigungen für Letztere wurde nicht gesprochen.

Mir als Radfahrerin und Gelegenheitsfußgängerin in der Stadt ist es ziemlich wurscht, ob mir ein strom- oder benzinbetanktes Auto Vorfahrt und Platz wegnimmt. Zwar sind neuerdings rote Streifen auf ein paar Straßen in meiner Umgebung gepinselt worden, auf denen ich jetzt ganz offiziell mit dem Rad fahren darf – sogar auf der Reeperbahn, dass ich das noch erleben darf! –, trotzdem wüsste ich gern, wie darüber hinaus die von mir und ähnlich Gesinnten ersehnte Straßenbefreiung und -befriedung aussehen könnte. Sitzen, flanieren, picknicken, plaudern, spielen, es ergäben sich ungeahnte Möglichkeiten.

Das geht nicht über Nacht, aber Instrumente wie Anwohnerparken und die generelle Verteuerung des Parkens würden helfen, denn die meiste Zeit fährt das Auto ja nicht, sondern steht herum. Oft sogar völlig kostenfrei auf einem der zahlreichen Parkplätze, die mit elf Quadratmetern etwa so groß sind wie ein Kinderzimmer und sehr viel größer als die meisten Gefängniszellen. Wie so eine Parkraumbewirtschaftung funktionieren kann, zeigt das Beispiel Tübingen. Dann wäre da noch der Ausbau des ÖPNV, bitte auch und gerade in ländlichen Gebieten, und die Sanierung der Bahn.

Über einen Mangel an klima- und energiepolitischen Großbaustellen können wir uns auch abseits der Verkehrswege nicht beklagen. Stromleitungen. Windräder. Wasserstofftechnik. Sowie, sozusagen als Unterbau, das im Oktober angekündigte und bislang schmerzlich vermisste Energieeffizienzgesetz. Und damit auch wirklich jede Kommune bei der Transformation mitmachen kann, fordern Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Sozial- und Kommunalverbände eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes, denn bislang darf der Bund den Klimaschutz auf kommunaler Ebene nicht mitfinanzieren.

Da trifft es sich, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) soeben das „LNG-Tempo“ als neue „Richtgeschwindigkeit bei Planung und Genehmigung“ proklamiert hat. Fein. Nun gilt es noch eine Formel zu finden, die bei Infrastrukturprojekten den Klima- und Umweltschutz sowie die Hebung der Lebensqualität priorisiert. Nicht dass mir nachher der Straßenbau als kleinster gemeinsamer Nenner rauskommt. Sollen sich mal mathematisch Begabtere damit beschäftigen. Meinetwegen darf das Ergebnis gern im Bereich von 2 LNG liegen, mindestens.

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Licht und Schatten

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2022 – ein annus horribilis, wie die im September verstorbene Queen das Jahr 1992 nannte? Vieles spricht dafür: Russlands Überfall auf die Ukraine, Energiekrise, Inflation, Corona-Folgen, brüchige Lieferketten, die fortschreitende Erderhitzung, eine Weltklimakonferenz mit äußerst dürftigen Ergebnissen. Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!, werden sich viele sagen.

Nicht lange nach dem 24. Februar wurde klar, dass Deutschland sich energiepolitisch von Putin nach allen Regeln der Kunst über seinen sehr, sehr langen Tisch hat ziehen lassen, unter freundlicher Mithilfe der deutschen Energiekonzerne sowie diverser Bundesregierungen. Statt Atomausstieg zum 31.12.2022 und zügigem Abschied von der Braunkohle wurden die Mottenkugeln eilends wieder zur Seite gelegt.

Im März sprach Finanzminister Christian Lindner (FDP) von „Freiheitsenergien“ und meinte die Erneuerbaren, im März fädelte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Gas-Deal mit Katar ein. Flüssiggasterminals entstanden in sagenhafter Geschwindigkeit, Abermilliarden flossen und fließen weiterhin in die Erschließung neuer fossiler Energiequellen, statt eines Tempolimits gab es Tankrabatt, und während des extrem heißen Sommers versuchte die Bundesregierung eher halbherzig, die Deutschen schon mal auf einen Energiespar-Winter einzuschwören. Begriffe wie „Gasmangellage“ und „Blackout“ machten die Runde. In der Ostsee rissen Explosionen Löcher in die Nord-Stream-Pipelines. Alles kein Vergleich mit dem, was in der Ukraine tagtäglich geschieht.

Jammern und Klagen führt aber leider nur zu Stirnfalten und schlechter Laune, und da ich zufällig nebenberuflich im Silberstreifengeschäft arbeite, möchte ich Sie ungern ohne einen solchen ins neue Jahr verabschieden. Denn ein paar gar nicht mal so kleine energetische und klimapolitische Lichtblicke gab es tatsächlich auch.

An den Sommerhit des Jahres erinnern Sie sich bestimmt: das 9-Euro-Ticket, mit dem man im Juni, Juli und August kreuz und quer durch Deutschland gondeln konnte. Da ließen sich viele nicht zweimal bitten. 52 Millionen Tickets wurden verkauft, 1,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart.

Mit leichter Verspätung verabschiedete der Bundestag am 7. Juli das sogenannte Osterpaket, ein ganzes Bündel energiepolitischer Maßnahmen. Unter anderem soll die Stromversorgung bis 2035 fast ausschließlich aus erneuerbaren Energien kommen.

Deutschland allein kann den Klimawandel nicht aufhalten, aber auch anderswo geschahen interessante Dinge: Ende Mai wurde in Australien der konservative Premierminister Scott Morrison, ein knallharter Klimaleugner, abgewählt. Sein sozialdemokratischer Nachfolger Anthony Albanese hatte den Klimawandel zum Wahlkampfthema gemacht und versprach nach seinem Sieg, das Land (dessen Pro-Kopf-Emissionen an Treibhausgasen höher liegen als die der USA) zu einer „Supermacht der erneuerbaren Energien“ zu machen.

US-Präsident Joe Biden seinerseits ließ sich auch nicht lumpen: Mit dem Inflation Reduction Act sollen 369 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien fließen (aus europäischer Sicht allerdings mit dem Schönheitsfehler, dass bei dem Konjunkturprogramm nur amerikanische Firmen zum Zuge kommen sollen – Europa fühlt sich ausmanövriert, Beratungen und Verhandlungen sind im Gange). Ende Oktober gewann in Brasilien Lula da Silva knapp die Präsidentschaftswahl. Er hat versprochen, dem Klimaschutz Priorität einzuräumen und die illegale Abholzung des Regenwaldes zu stoppen.

Im November kehrte Deutschland wie zuvor schon Italien, Polen, Spanien, die Niederlande, Frankreich und Slowenien der Energiecharta den Rücken. Weil sich für eine Änderung des umstrittenen Vertragswerks keine Mehrheit findet, steht es vor dem Aus. Es sichert die Investitionen der fossilen Industrien und erlaubt es etwa Atom- und Kohlefirmen, Regierungen bei einem Ausstieg aus diesen Energien auf hohe Entschädigungssummen zu verklagen. Kurz vor Jahresende beschloss die EU noch einen Klimazoll, der für Produkte erhoben werden soll, wenn asiatische oder amerikanische Hersteller nicht für den Ausstoß von Treibhausgasen zahlen mussten.

Und schließlich – Tusch! Fanfare! – lockert Bayern seine strenge Abstandsregelung für Windräder. Muss man da nicht Hoffnung schöpfen und an eine Zeitenwende glauben? „Zeitenwende“ wurde vergangene Woche zum Wort des Jahres erkoren und schlug Konkurrenten wie Gaspreisbremse und Doppelwumms aus dem Felde. Glück gehabt, es hätte ja auch die, Achtung, Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung, kurz EnSikuMaV, werden können.

Ob 2022 nun grottenschlecht oder doch ganz ordentlich war, hängt für jede und jeden Einzelnen natürlich auch von der persönlichen Situation ab. Mögen die Zeiten sich 2023 für alle und auf allen Ebenen zum Guten oder wenigstens zum Besseren wenden.

Sofern Sie über die Feiertage ein bisschen Muße haben, werfen Sie doch mal einen Blick in diese Erzählungen zum Klimawandel von A-Z aus dem New Yorker. Sie lassen sich auch gut häppchenweise lesen. Sollte Ihnen eher nach Herzerwärmendem zumute sein, dann versuchen Sie es mal hiermit.

Wir lesen uns dann irgendwann im neuen Jahr wieder. Kommen Sie gut rein. Geht auch ohne Böller und Raketen.

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Redakteurin Kerstin Eitner blickt zurück auf einige Geschehnisse des Zeitenwendejahrs 2022
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Über Unfassbares

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haben Sie auch manchmal den Eindruck, dass es große Widersprüche gibt zwischen den Äußerungen manch eines Politikers und den tatsächlichen Ereignissen in diesem Land? Zum Beispiel diese Woche.

Am Montag erklärte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) im Deutschlandfunk, warum die Innenministerkonferenz beschlossen hat, ein bundesweites Lagebild der Klimaprotestgruppe „Letzte Generation“ zu erstellen. Mit ihrem organisierten Vorgehen komme die Gruppe „in die Nähe von dem Verdacht, eine kriminelle Vereinigung zu sein“, sagte Reul. Einigen Linksextremen dort gehe es um die „Überwindung des Systems“. Die „Klima-RAF“ lässt grüßen. (Auch wenn Reul diesen von CSU-Mann Alexander Dobrindt geprägten Begriff nicht in den Mund nahm.)

Und am Mittwoch dann? Flog eine extremistische Verschwörung auf, die tatsächlich das System „überwinden“ wollte – allerdings von rechts.

In den frühen Morgenstunden hatten Spezialkräfte der Polizei in elf Bundesländern mehr als 130 Wohnungen, Büros und Lagerräume durchsucht, darunter auch die Kaserne des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Baden-Württemberg. Zwei Dutzend Frauen und Männer wurden festgenommen. Sie werden verdächtigt, einer rechten Terrororganisation anzugehören und einen Umsturz in Deutschland geplant zu haben. Mehr als 3000 Beamtinnen und Beamte waren dafür im Einsatz, eine der größten Polizeiaktionen gegen Extremismus, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Unter den Verdächtigen sind eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete mit Zugang zum Bundestag, ein Mitglied der KSK sowie ein aktiver und einige ehemalige Bundeswehrsoldaten.

Zwar sei ein Staatsstreich sehr unwahrscheinlich, sagt der Rechtsextremismusforscher Miro Dittrich über die Gruppierung, doch er spricht von einer ernstzunehmenden Bedrohung: „Es hätte sicher Tote gegeben.“

Das Krebsgeschwür unserer Gesellschaft

Am Mittwoch also beschlich mich wieder mal der Eindruck, dass manche Debatten an den realen Gefahren vorbeilaufen – in diesem Fall war es die offensichtliche Diskrepanz zwischen herbeigeredetem linkem „Klimaterror“ und gerade noch verhindertem Terror von rechts.

Wie real diese Gefahr ist, zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Verbrechen der vergangenen Jahre. Die Messerattacke gegen die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker 2015, das tödliche Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019, im selben Jahr der Anschlag auf eine Synagoge in Halle und die Ermordung von neun Menschen in Hanau durch einen Rechtsextremisten im Februar 2020, um nur einige zu nennen. Ganz zu schweigen von den zehn Morden des NSU in den Jahren 2000 bis 2011.

Der aktuelle Fall zeigt aber auch, dass Rechtsextreme nicht nur die „klassischen“ Glatzen mit Springerstiefeln sind, sondern in der Mitte der Gesellschaft stehen – teils sogar im Innersten deutscher Sicherheitsbehörden. Die New York Times veröffentlichte bereits im vergangenen Jahr den außerordentlich gut recherchierten und produzierten Podcast „Day X“ über Rechtsextremisten in der Bundeswehr und in der deutschen Polizei, die sich auf den Tag vorbereiten, an dem die Demokratie fallen soll – den Tag X. Es handelt sich demnach nicht um einzelne „Verirrte“, sondern um ein ganzes Netzwerk, das sich über Chatgruppen organisiert, Todeslisten schreibt und von der Zerstörung unserer Gesellschaft fantasiert. „This is a cancer“, sagt der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und heutige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan J. Kramer in diesem Podcast. Der Rechtsextremismus und sein Gedankengut seien in Deutschland wie ein Krebsgeschwür verwurzelt.

Wenn dieser Tage also von Terror und Umsturz die Rede ist, sollte sich jeder und jede genau überlegen, wen er oder sie damit meint. Oder wie es Katrin Höffler, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig, bewusst polemisch formuliert: „Anders als bei Rechtsextremisten ist (...) nichts darüber zu lesen, dass sich die Klimaprotestierenden auf speziellen Klima-Konzerten aufputschen, um dann Autofahrer*innen 'klatschen' zu gehen oder Museen zur Hauptbesuchszeit anzuzünden.“

Fridays for Frogs

Ursprünglich wollte ich in dieser Wochenauslese ausführlich über die Weltnaturschutzkonferenz schreiben, die am Mittwoch im kanadischen Montréal begonnen hat. Sie ist es wert, auf allen Kanälen zu laufen. Denn die CBD COP, wie sie in Fachkreisen heißt, ist das Natur-Pendant zur jährlichen Klimakonferenz – weniger bekannt aber nicht minder dringlich. Sie hätte schon vor zwei Jahren im chinesischen Kunming stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Pandemie zunächst verschoben und dann nach Kanada verlegt. Biodiversitätsexpertinnen und -experten erhoffen sich von ihr eine Art Paris-Moment, ein ehrgeiziges Abkommen zum Schutz der Arten und der biologischen Vielfalt, mit dem das sechste Massenaussterben doch noch verhindert werden soll.

Ich lege Ihnen dazu sehr die Lektüre unseres Heftes aus dem Sommer ans Herz, das wir „Mission Vielfalt“ getauft haben. Warum die Artenkrise keine Greta Thunberg, kein Fridays for Frogs habe, haben darin meine Kollegin Katja Morgenthaler und mein Kollege Wolfgang Hassenstein den bekannten Biologen Josef Settele gefragt. „Ist das Thema schwerer zu fassen?“ Seine Antwort: „Es ist unfassbar.“

Das ganze Interview mit Settele finden Sie übrigens auch frei zugänglich online auf unserer Website. Vielleicht haben Sie an diesem dritten Adventswochenende Zeit, es zu lesen. Wir freuen uns immer, wenn Sie uns besuchen!

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An alle Transformers!

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kürzlich schrieb uns ein Leser, der in Finnland lebt. Seit Jahrzehnten unterstützt er Greenpeace. Ideell – und mit Aktionen. Er war dabei, als Aktivistinnen und Aktivisten in diesem März in einem finnischen Güterbahnhof drei russische Kohlezüge eines Nachts mit den Slogans „NO COAL“, „NO WAR“ und „НЕТ ВОЙНЕ“ bepinselten. Die Züge rollten mit Antikohle- und Antikriegsbotschaft zurück nach Russland. Und der Leser fuhr seine Mitstreitenden im Kleinbus zurück nach Helsinki. Im Wagen, schreibt er, roch es ironischerweise nach „panssarimaali“, Panzerfarbe, die auch auf Güterzügen gut hält. Der Mond schien, die Leute schliefen und er, der Fahrer, hing seinen Gedanken nach.

„Für mich war der Name Greenpeace immer Programm“, schreibt er. Zum einen gebe es „keine sinnvolle Alternative zu einem bedingungslosen, grünen Weltfrieden“. Zum anderen glaube er, dass die Chance dafür „noch nie so gut war wie jetzt“. Er schrieb von der „Machbarkeit des Wandels“ und „glücklich machenden Pionierprojekten“. Als uns diese Zeilen erreichten, war das neue Greenpeace Magazin gerade in Druck gegangen. Sie passen gut zum Titelthema des Heftes, das heute erscheint – zum sozialökologischen Wandel, der ohne jede Übertreibung auch die Große Transformation genannt wird.

Kein Zurück auf Normal

Vielleicht standen die Chancen für den Wandel zur post-fossilen Gesellschaft, für die Rettung unserer Zukunft wirklich nie so gut wie jetzt. Vielleicht ist der entsetzliche Krieg einer Diktatur, die ihre Macht auf Kohle, Öl und Gas gründet, der Anstoß, auch den anderen entsetzlichen Krieg zu beenden: den Krieg der Menschen gegen das Klima. Beide Kriege sind fossiler Natur, und beide sind am Ende selbstzerstörerisch.  Aber reicht der Schrecken dieses Krisenjahres, damit Politik und Gesellschaft aufhören, Normalität zu simulieren, wo längst keine mehr ist? Werden wir uns der Tatsache stellen, dass es ein Zurück zum alten Normal nicht gibt?

Drei Tage nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine schien es einen Moment lang so. Damals sprach FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag von Erneuerbaren als „Freiheitsenergien“. Es klang, als würde nun der Turbo für den grünen Frieden gezündet – zumindest erstmal für Windräder und Solarpaneele. Neun Monate später sind Genehmigungsrekorde aber vor allem für Flüssiggas-Terminals zu verzeichnen. Die Debatte, ob Deutschland selber fracken sollte, ist wieder auf dem Tisch. Im Abschlussprotokoll der Weltklimakonferenz fehlen die wichtigen Worte Öl- und Gasausstieg. Und Anfang dieser Woche – die Nationalelf schmorte noch bei Rekordhitze in der Winterwüste – sagte Qatar Energy Gaslieferungen nach Brunsbüttel zu. Keine riesigen Mengen, aber doch. Der viel kritisierte LNG-Deal läuft von 2026 bis 2041 – wenn Deutschland fast schon klimaneutral sein muss. Gerade entsteht also fossile Infrastruktur für Jahrzehnte, in denen sie nichts mehr zu suchen hat. Und ob sie auf Wasserstoff umgerüstet werden kann, wird von Fachleuten bezweifelt.

Wie geht Transformation?

Angesicht der Tendenz zum Festhalten am Alten haben wir in der Redaktion uns etwas verzagt gefragt, ob und wie die Große Transformation gelingen kann. Im Meckerteil unserer neuen Ausgabe zeigen wir unter anderem, wohin mehr als sechzig Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen im Jahr fließen. Und mein Kollege Fred Grimm zeichnet in einem Report nach, wie die Regierungen der Merkel-Ära die Energiewende ausgebremst haben. Für die Recherche hat er unter anderem Peter Altmaier (CDU) getroffen, der im fraglichen Jahrzehnt mehrere relevante Ministerämter innehatte. Es waren interessante Gespräche.

Aber kommen wir zur Machbarkeit des Wandels und glücklich machenden Pionierprojekten! Thomas Merten ist für das neue Heft nach Wunsiedel gefahren und berichtet aus einer Kommune im Fränkischen, die weder reich noch schön ist, aber mit klugen Konzepten, Mut und Zusammenhalt in Richtung Energieautarkie strebt. Meine Kollegin Frauke Ladleif und ich haben mit der Zweiten Vorsitzenden der IG-Metall Christiane Benner und Wuppertals grünem Oberbürgermeister Uwe Schneidewind darüber gesprochen, was gegen die Angst vor Veränderung hilft – Schilderungen aus dem Maschinenraum der Transformation. Außerdem retten wir im neuen Greenpeace Magazin die Ehre eines utopischen Ortes, der oft als Schimpfwort herhalten muss: Bullerbü. Und wir zeigen, was Deutschland von anderen Ländern lernen kann.

Was Sie sonst noch wissen müssen

Neben dem Schwerpunkt haben wir für dieses Heft einen konventionellen Bauern besucht, der seinen Schweinen ihren Ringelschwanz lässt. Wir waren in Würgassen an der Weser, wo ein umstrittenes Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle entstehen soll, um Deutschlands Atommüllchaos zu bändigen. So viel sei verraten: Es ist erstaunlich, was alles so übrigbleiben wird, wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht. Und wir kümmern uns um tierfreie Weihnachtsbraten sowie die Frage: Wie gesund ist vegetarischer und veganer Fleischersatz – und warum ist der oft noch teurer als Fleisch?

Es erscheint mir übrigens verrückt, wie normal sich dieser Advent für uns im reichen Westen trotz Energiekrise bisher anfühlt. Inklusive Festbeleuchtung. Wie alle Jahre wieder beschäftigen uns Glühweinpreise, Wunschzettel und Menüplanung. In Kiew funkeln indessen nicht einmal sparsame LED-Sterne in den Straßen. Denn in der Ukraine lässt Putin gezielt lebenswichtige Infrastruktur bombardieren. Er benutzt, wie Nato-Generalsekretär Stoltenberg diese Woche sagte, den Winter als Waffe. Das ist – in den Worten des Gouverneurs der Oblast Kiew – „Energieterror“. In den nächsten Wochen werden deshalb wieder viele Menschen fliehen, auch nach Deutschland. Sie werden unsere Hilfe brauchen. Vielleicht haben Sie ja ein Zimmer frei?

Der Leser aus Finnland, der uns schrieb, wohnt in einer Jurte. Er betreibt eine Solaranlage, sein Wasser schöpft er aus einem Brunnen. Auch sonst lebt er auf kleinem Fuß. Schon klar: Das können wir jetzt nicht alle so machen. Umso wichtiger wäre eine Gesellschaft, aus der man nicht aussteigen muss, um das Richtige zu tun.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem neuen Greenpeace Magazin und ein schönes Wochenende!

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