Nein heißt Nein

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manche Typen versuchen es immer wieder: Greta Thunberg spricht sich – unter Vorbehalt – für Atomkraft aus, und schon hat sie die FDP am Hals. Zur deutschen Ausstiegsdebatte sagte die Klimaaktivistin im Interview mit Sandra Maischberger: „Ich persönlich denke, dass es eine schlechte Idee ist, auf Kohle zu setzen, so lange die AKWs noch laufen.“ Christian Lindner schien schon mal einen FDP-Mitgliedsantrag nach Schweden zu faxen: „Ich begrüße den Zuspruch der #FFF-Initiatorin Greta #Thunberg für die FDP-Position“, biederte er sich auf Twitter an. Auch die Bildzeitung entdeckte – in Gestalt von Franz Josef Wagner – ihr Herz für die Klimaaktivistin: „Sie außergewöhnliche Frau haben die Begabung, die Wahrheit zu sagen. Als Mädchen, als Frau“, flötete der Kolumnist. Dabei blendeten die Herren geflissentlich aus, dass Thunberg ihnen in dem Interview eigentlich eine deutliche Abfuhr erteilt hatte: „Ich habe keinen Politiker getroffen, der der Notlage entsprechend redet und handelt.“ Und auch den Medien attestierte sie, die Klimakatastrophe nicht als das zu behandeln, was sie ist: eine Katastrophe.

Eine klare Ablehnung nicht richtig zu verstehen, scheint ein spezielles FDP-Phänomen zu sein. Wolfgang Kubicki etwa erzählte in derselben Talkshow, wie er als damaliger Fraktionschef im Landtag von Schleswig-Holstein der damaligen Vizepräsidentin des Europaparlaments Silvana Koch-Mehrin mal in einem Brüsseler Café den Posten der FDP-Generalsekretärin angeboten habe – und sie bei der Gelegenheit nach Kräften anbaggerte. Vergeblich. Koch-Mehrin hatte vorsichtshalber ihren durchtrainierten Mann gebeten, nach einer Stunde ins Café zu kommen, weil sie ahnte, „da ist mehr im Spiel.“ Kubicki (Lebensmotto: „Man kann es ja mal versuchen“) nahm Reißaus. Koch-Mehrin findet es rückblickend absurd, dass sie zu solchen Mitteln greifen musste. Gerade hat sie ein Buch veröffentlicht, in dem sie schildert, wie Parteikollegen ihr gegenüber immer wieder Grenzen überschritten haben.

Ihr wollt es doch auch!

Auch Christian Lindner bleibt weiter aufdringlich und deutet das entschlossene „Nein“ der niedersächsischen Wählerinnen und Wähler, die seine Partei gerade aus dem Landtag gejagt haben, in ein „Ja“ für seine Positionen um. Trotz Zugewinnen für die Grünen sei die Wahl eine „Niederlage für die gesamte Ampel“ gewesen, die FDP müsse einfach erkennbarer werden. Und so beharrt er trotz deutlicher Ablehnung durch die Wählerschaft auf dem Weiterbetrieb des AKW Emsland, obwohl dieses laut Stresstest nicht mehr benötigt werde. Kommt schon, ihr wollt es doch auch! Den Frust darüber merkt man inzwischen auch Robert Habeck an. In den Tagesthemen auf den wochenlangen Hickhack mit der FDP über die AKW-Laufzeiten angesprochen, antwortete er nur: „Ja. Was war die Frage?“

Mit einem klaren „Nein“ hat aber auch Habeck seine Probleme. Um besser zu verkaufen, dass das Dorf Lützerath jetzt doch für den Braunkohlebergbau abgebaggert werden soll, hatten er und seine NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur Schulter an Schulter mit RWE-Chef Markus Krebber die schlechte mit einer vermeintlich guten Nachricht verbunden: den Kohleausstieg 2030, acht Jahre früher als geplant. Ja! Aber, nein: Nur im Rheinischen Revier. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt pochen die jeweiligen Landes-Chefs weiter darauf, Kohle auszubuddeln, zu verbrennen und damit die Klimakrise zu verschärfen. Bis 2038 auf jeden Fall.

Übergang als Dauerzustand

Wenn bis dahin die nächste Energiekrise oder der zu langsame Ausbau der Erneuerbaren die Kohle nicht noch länger „alternativlos“ macht. So wie jetzt, da Energiekonzerne zusätzliche Braunkohlekraftwerke befeuern dürfen, um die Gasverstromung zu reduzieren. Wie lange solche „Übergangslösungen“ andauern sollen, ist in etwa so klar begrenzt wie die geheim gehaltene Laufzeit der neu geschlossenen fossilen Lieferabkommen mit Katar und Saudi-Arabien. Mich erinnert das an diese Handyverträge, deren Mindestdauer sich ins Nirwana verlängert, wenn man nicht aufs Kleingedruckte achtet. Ein eindeutiger Ausstieg aus den Fossilen sieht anders aus.

Dazu passt, dass auch Wladimir Putin sich wenig um die jüngste Ablehnung durch die Vereinten Nationen scheren dürfte. Die hatten bei der Generalversammlung mit großer Mehrheit der russischen Einverleibung der ostukrainischen Gebiete Donetsk, Cherson, Luhansk und Saporischja widersprochen. Nun suchte Putin Anschluss bei einem Gipfeltreffen asiatischer Länder – ausgerechnet in Kasachstan, dem Land, das inzwischen hunderttausende russische Deserteure willkommen hieß. Bei einem Zweiergespräch mit Präsident Erdogan bot er der Türkei eine neue Gas-Pipeline an, auch um europäische Drittländer zu versorgen – die russische Umarmungsoffensive mutete an wie eine aufdringliche Hand auf dem Knie Europas.

Auf die türkische Solidarität mit der Idee der Freiheit kann man sich vielleicht nicht hundertprozentig verlassen, auf die schwedische Fußball-Nationalmannschaft der Frauen dagegen schon: Bei ihrem Länderspiel gegen Frankreich in Göteborg zeigten sie ein Trikot mit der Aufschrift „We are playing for our girls in Iran“ – wir spielen für unsere Mädchen im Iran. Anlässlich des vor allem von Frauen und Schulmädchen angetriebenen Aufstandes gegen das theokratische Unterdrücker-Regime erinnerte die Elf daran, dass sie zuletzt 2016 gegen eine iranische Frauenmannschaft angetreten waren. Die Partie gewannen die Schwedinnen damals mit 7:0. Einen mindestens ebenso deutlichen Sieg wünscht man heute den Iranerinnen in ihrem Kampf gegen Unfreiheit und Unterdrückung. Und ein baldiges Rückspiel in Frieden.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

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Redakteur Thomas Merten über das Balzen und Beharren mächtiger Männer
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Sympathy for the devil

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folgende Rede eines so distinguierten wie zu allem entschlossenen atmosphärischen Phänomens möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin zwar keine natürliche Person, verfüge aber über große Macht und enormen Reichtum, die in den letzten Jahrzehnten unaufhaltsam gewachsen sind. So konnte ich bereits allerhand aus- und anrichten. Schön, Sie zu treffen – hoffentlich erraten Sie meinen Namen. Aber Sie rätseln wohl noch, welches Spiel ich spiele.

Dieses Jahr bin ich, das darf ich voller Stolz sagen, über mich hinausgewachsen. So schuf ich ideale Bedingungen für Waldbrände. Allüberall bis in die Tannenspitzen ist es knochentrocken, und bis Mitte August hatten die Flammen allein in der EU bereits 660.000 Hektar Wald verzehrt, eine Fläche zweimal so groß wie Luxemburg. Und das Jahr ist ja noch nicht zu Ende. Alle Register habe ich gezogen, Regen zurückgehalten oder umgeleitet, so dass fruchtbare Böden sich in Staub verwandelt haben und die Ernten entweder miserabel oder gleich ganz ausfallen.

Die Pegel von Flüssen und Seen habe ich sinken lassen, sodass der Po, Italiens größter Fluss, zum Rinnsal wurde, die Binnenschiffe auf dem Rhein nur noch leicht beladen fahren konnten und in Frankreich Atommeiler heruntergefahren werden mussten, weil kein Kühlwasser mehr da war. Beim Fischsterben in der Oder hatte ich die Hand im Spiel. Bis in die Ozeane dringe ich vor, und überall jagte ich die Temperaturen in ungeahnte Höhen: in Indien und Pakistan, in Südeuropa und Australien, in China und den USA, sogar in Großbritannien wurden erstmals über 40 Grad gemessen, und die Niederlande haben ausnahmsweise mal zu wenig Wasser.

Da kann es natürlich nicht ausbleiben, dass die Gletscher schmelzen, im Himalaya wie in den Alpen. In den Bergen gerät im wahrsten Sinne des Wortes einiges in Bewegung, Lawinen, Erdrutsche, Felsstürze, rechnen Sie mit dem Schlimmsten und sagen Sie dem Wintersport am besten schon jetzt „adieu“. (Sie können im Prinzip auf mildere Winter hoffen, das spart Energie, aber garantieren kann ich das nicht. Es könnte mir gefallen, auch mal krachenden Frost, Schneestürme und dickes Eis zu schicken). Bei der Erwärmung der Arktis, auf die ich in den vergangenen Jahren schon viel Mühe verwendet habe, konnte ich noch mal einen Zahn zulegen, und auch in der Antarktis gebe ich mein Bestes.

Wenn es mir passt, schicke ich schon mal Starkregen, aber der versickert in den ausgelaugten, vertrockneten Böden, die das Wasser nicht speichern können. Oder er lässt, das habe ich erst letztes Jahr im Ahrtal demonstriert, scheinbar harmlose Flüsse und Bäche zu gewaltigen Strömen anschwellen, die alles mitreißen, was sie finden. Und sie finden viel, denn noch immer wird gern nah am Wasser gebaut, oft sogar wieder genau dort, wo die Überschwemmung war. Überhaupt arbeiten Sie, die Menschen, gut mit und helfen mir, wo Sie können. Sie begradigen Flüsse, legen Moore trocken, versiegeln Landschaften, pflanzen Monokulturen in Wald und Feld, verbrennen in Jahrmillionen entstandene Ressourcen, fahren und fliegen kreuz und quer über den flächendeckend plastifizierten Planeten, bauen und konsumieren, als gäbe es kein Morgen.

Gibt es für viele auch nicht. Wenn ich Regionen unbewohnbar werden lasse, machen sich viele, die dort kein Auskommen mehr finden, auf den Weg in ein vermeintlich besseres Leben, im eigenen Land oder im Ausland. Wo sie, sofern sie ihr Ziel überhaupt erreichen, nicht mit offenen Armen willkommen geheißen werden, aber das muss ich Ihnen ja nicht sagen. Doch nicht nur die Menschen schicke ich auf Wanderschaft, auch Tiere und, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, sogar Pflanzen versuchen zu entkommen. Einige von ihnen wie etwa Stechmücken haben Krankheitserreger dabei, die in Zonen mit gemäßigten Temperaturen bislang nicht bekannt waren. Begrüßen Sie mit mir: Chikungunya, Denguefieber, Malaria.

Sie sehen, ich habe allerhand zu bieten, und dabei habe ich noch gar nicht richtig angefangen. Wenn wir uns begegnen, und das werden wir, denn ich gedenke lange zu bleiben, dann gehen Sie bitte höflich und rücksichtsvoll mit mir um. Denn auch ich bin nicht unverwundbar. Meine Achillesferse ist die menschliche Vernunft, die aber zu meinem Glück oft in seligem Schlummer liegt. Obwohl ich in letzter Zeit hier und dort eine gewisse Ärmel-hoch-Mentalität zu entdecken glaube. Aber das gibt sich schon wieder, es darf für die Gesellschaft nicht zu unbequem werden.

Auch diese Kinder und Jugendlichen bringen mich gelegentlich in Wallung, wer weiß, was die noch alles in Gang setzen werden, freitags und auch an anderen Tagen. Die haben einfach kein Mitgefühl mit mir. ‚Stoppt den Klimawandel!‘, fordern sie anklagend. Ja, das ist mein Name, Sie haben ihn längst erraten, aber was soll ich machen, ich folge doch nur naturwissenschaftlichen Imperativen. Nichts für ungut. Und schieben Sie nicht alles auf mich, denn letztendlich waren wir es doch gemeinsam, Sie und ich.“

Der Klimawandel macht leider keine Pause, die Wochenauslese des Greenpeace Magazins aber schon, denn nächste Woche produzieren wir die neue Ausgabe.  

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Unsere Redakteurin Kerstin Eitner hat den großen Wandler dieser Zeit belauscht
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Kerstin Eitner
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