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welche Sorgen hatten Sie mit elf Jahren? Welche mit 15? Und mit 18? Vielleicht blickten Sie angstvoll auf die nächste Klassenarbeit, fürchteten eine Abfuhr von Ihrem Teenie-Schwarm oder waren sich unsicher, wie es nach der Schule weitergeht. Aber ich wette, Ihnen wäre nicht in den Sinn gekommen, ganze Staaten zu verklagen. Genau das ist diese Woche in Straßburg passiert: Sechs junge Menschen aus Portugal haben Europa auf die Anklagebank gebracht. Am Mittwoch begann der Prozess, ein epochales Bild: Auf der einen Seite die Vertreter von 31 Staaten – darunter auch Deutschland – und ihre Kompanie aus über achtzig Anwälten. Auf der anderen Seite: die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die jüngste, Mariana Duarte Agostinho, ist gerade mal elf Jahre alt, die älteste, Catarina Mota, 24 – und ihre sechs Anwälte.

Sie sind vor Gericht gezogen, damit die Regierungen mehr gegen die Klimakrise unternehmen. Aus Angst davor, in wenigen Jahrzehnten in einer Drei-Grad-Welt leben zu müssen. Damit haben die Sechs schon jetzt Geschichte geschrieben: Es ist die bisher größte zugelassene Klimaklage. Noch nie standen so viele Staaten auf einmal vor Gericht, und es ist die erste länderübergreifende Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Jugend klagt

Mich beeindruckt ihr Mut, gleichzeitig spiegelt sich darin aber auch, welche existenziellen Sorgen und Ängste diese jungen Menschen plagen müssen, damit sie diesen Schritt gehen. Eingereicht haben sie ihre Klage bereits 2020, bewegt haben sie dazu die verheerenden Waldbrände, die 2017 durch Portugal tobten und in denen Dutzende Menschen verbrannten. Seitdem hatten die jungen Leute den Rechtsweg vorbereitet – eine riesige Herausforderung, aber auch eine Chance. Bekommen die Klägerinnen und Kläger Recht, könnte der Gerichtshof nicht nur die EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch die mitangeklagten Länder wie Norwegen, die Schweiz, das Vereinigte Königreich, die Türkei und Russland dazu auffordern, ihre Treibbausgasemissionen zu verringern.

Ich habe mich bei solchen Klagen bisher immer gefragt, wie viel sie wirklich bewirken können. Und wie vieler Klima-Urteile es noch bedarf, damit sich etwas bewegt. Umso erhellender war es, als ich diese Fragen kürzlich mit meinem Kollegen Fred Grimm der Top-Umweltjuristin Christina Voigt stellen konnte – das Interview lesen Sie in unserer aktuellen Ausgabe „Die Dunkelmänner“. „Es gibt zwar kein Menschenrecht auf ein stabiles Klima“, erklärt darin die Jura-Professorin von der Universität Oslo. „Aber das Recht auf Leben, auf Gesundheit, auf Privatsphäre und auf eine gesunde Umwelt.“ Und genau diese Rechte bedrohe die Klimakrise.

Dass übrigens wie im jüngsten Fall in Straßburg sechs Anwälte gegen achtzig antreten müssen, sei nicht unüblich, erklärte uns Voigt – die Gegenseite rüstet stark auf und nimmt damit die Sache offenbar ernst. Hoffnung mache da die junge Generation von Anwältinnen und Richtern in spe, die bei ihr studieren. „Die jungen Menschen, die jetzt ihr Studium anfangen, sind mit dieser Klimaherausforderung aufgewachsen, für die ist das hautnah spürbar.“ Da kommt also was auf die Konzerne und Regierungen zu – vielleicht gehen ihnen ja eines Tages die Rechtsbeistände aus.

Einspruch für die Zukunft

Und noch etwas fand ich interessant im Gespräch: Die Justiz schaut voraus. Das stärkste Argument sei es, dass alles, was man beim Klimaschutz jetzt nicht mache, in der Zukunft viel schlimmer und sehr viel teurer werde. Es sei wichtig, diese Langzeitperspektive rechtlich geltend zu machen. Stehen Menschenrechte auf dem Spiel, ist das keine Kleinigkeit. „Da sind die Staaten verpflichtet zu handeln, und genau dazu sind momentan neun Fälle vor dem Europäischen Menschengerichtshof anhängig.“ Einer davon wird nun auf großer Bühne verhandelt. Bis 2024 soll das Urteil fallen – wir bleiben dran.

Zu den einfachsten Klimaschutzmaßnahmen, die jede und jeder umsetzen kann, gehört eine möglichst tierfreie Ernährung: Vorige Woche wollten wir von Ihnen wissen, wie Sie es mit dem Fleischkonsum halten. Das Ergebnis hat uns überrascht: 32,9 Prozent ernähren sich vegetarisch und 13,3 Prozent vegan. 41,2 Prozent gaben an, nur Bio und eher selten Fleisch zu essen, nur 12,5 Prozent essen Fleisch, ohne darauf zu achten. Damit sind Sie den übrigen Deutschen insgesamt weit voraus, von denen laut neuesten Umfragen neun Prozent vegetarisch essen und drei Prozent vegan – Tendenz steigend.

In dieser Woche würden wir gern aus gegebenem Anlass von Ihnen wissen: Denken Sie, dass Klimaklagen etwas bewirken können? Wenn Sie mögen, stimmen Sie gern hier ab. Die Ergebnisse erfahren Sie dann wie immer in der nächsten Wochenauslese.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Ein Hinweis in eigener Sache: Wir möchten Sie herzlich zu unserer nächsten Videokonferenz am Donnerstag, den 12. Oktober um 18 Uhr einladen – anlässlich unserer Ausgabe über die Intelligenz der Tiere, die kommende Woche erscheint. Was mögen Sie am Magazin? Was weniger? Welche Themen schätzen, welche vermissen Sie? Wenn Sie Lust haben, uns Ihre Meinung zu sagen und uns besser kennenzulernen, melden Sie sich gern per Antwort an diese Mail an oder unter gpm@greenpeace-magazin.de. Wir schicken Ihnen dann eine Einladung.

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gern weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Und wenn Sie auch unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimathemen lesen möchten, können Sie sich hier dafür anmelden – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

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Anje Jager
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Redakteur Thomas Merten über den wichtigsten Gerichtstermin der Woche
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Thomas Merten
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