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wie auch immer Sie in diesem Sommer an Ihren Ferienort gekommen sind, eines werden Sie dabei ganz sicher festgestellt haben: Wenn man mal von ausgedehnten Radwanderungen absieht, gilt innerhalb Europas noch immer: Je ökologischer unterwegs, desto teurer wird es. Und zwar deutlich. Die Zahlen, die Greenpeace gerade in einer Studie ermittelt hat, sind ebenso verblüffend wie erschreckend. Auf 112 europäischen Strecken, darunter auf so reizvollen Routen wie Berlin-Rom, Köln-Barcelona und München-Göteborg, ist es in 71 Prozent der Fälle billiger zu fliegen als mit der Bahn zu fahren. Im Durchschnitt kostet der Schienenweg 51 Prozent mehr. Extrembeispiel ist die Verbindung Barcelona-London, für die per Zug 384 Euro berappt werden müssen. Wer fliegt, zahlt den Gegenwert von vier Cappuccino – 12,99 Euro.

Dass eine solche klimafeindliche Verkehrspolitik in diesem postpandemischen Jahr wieder mehr Menschen denn je zum Fliegen animiert, führt dann zu verrückten Parallelen wie dieser: So war dieser Juli weltweit nicht nur der heißeste Monat seit 120.000 Jahren, er verzeichnete auch den Tag mit den meisten Flugzeugen gleichzeitig am Himmel – 134.386 am 6. Juli. Schon erstaunlich, dass es günstiger sein soll, neben dem ganzen Flughafen- und Sicherheitsschleusengedöns, einen tonnenschweren Jet energieaufwändig mit Sack und Pack in die Luft zu hieven – also ein technisches Wunder zu vollbringen – statt vergleichsweise einfach über eine Schiene dahin zu geiten, oder? Möglich sind solche Preisunterschiede nicht zuletzt, weil auf Kerosin und Flugtickets – im Gegenzug zu Energiekosten und Fahrkarten bei der Bahn – keine Steuern erhoben werden. Auch die Gewinne behalten vor allem Billig-Airlines dank fiskalischer Ausweichmanöver beinahe vollständig für sich. So verzeichnete das irische Unternehmen Ryanair im ersten Halbjahr 2023 einen Überschuss von 663 Millionen Euro – Rekord.

„Zu voll, zu alt, zu kaputt“

Und die Bahn? Rutscht trotz immer höherer Ticketpreise immer tiefer in die roten Zahlen, insbesondere die Bahn-Tochter DB-Netze: In den ersten sechs Monaten des Jahres hat dieser Unternehmenszweig rund 240 Millionen Euro Verlust gemacht. Fast eine Viertel Milliarde. Auch die Logistiktochter DB-Cargo sackte 200 Millionen Euro tief in die Miesen. Verrechnet mit den Einnahmen in anderen Bereichen landet die Deutsche Bahn bei insgesamt minus 71 Millionen Euro, rechnete Bahnchef Richard Lutz vor, der sich selbst dennoch über eine Verdopplung seines Gehalts freuen darf. Als Anerkennung für die geleisteten Dienste.

Mehr Passagiere, mehr Güter auf der Schiene, das kostet nun mal. „Zu voll, zu alt, zu kaputt“, klagte der aktuelle Infrastrukturchef Berthold Huber, der 2022 das schwere Erbe angetreten hat. Insider sprechen vom „Pofalla-Effekt“: In der Amtszeit des ehemaligen Infrastrukturvorstandes und früheren CDU-Kanzleramtsministers Roland Pofalla wurde zu wenig Geld in die Schiene investiert. Die CSU-Dreifaltigkeit aus den autofreundlichen Verkehrsministern Ramsauer, Dobrindt und Scheuer tat ihr Übriges, und FDP-Mann Volker Wissing scheint, abgesehen von kleineren Zugeständnissen, diese Tradition fortführen zu wollen. Umso pikanter, dass Tobias Bareiß, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die roten Zahlen der Deutschen Bahn in dieser Woche in der Bild-Zeitung als „eine Art Arbeitsverweigerung“ bezeichnete. Wen meint er damit noch gleich? Ja wohl kaum das Personal, das unermüdlich gegen alle Unzulänglichkeiten und den Unmut der Reisenden anarbeitet und jede Lohnerhöhung mühsam erstreiken muss.

Rettet das Kartcenter!

Der katastrophale Gesamtzustand der deutschen Bahn zeigt sinnbildlich, wie schwer sich konservative und liberale Minister mit vorausschauender Politik tun. Im Lokalen demonstrieren aber selbst Sozialdemokraten eine erstaunliche Unfähigkeit zur Weitsicht. In der Lüneburger Heide soll laut Bundesverkehrswegeplan auf der neu geplanten, deutlich kürzeren Strecke Hamburg-Hannover eine Schienentrasse durch ein Gewerbegebiet in Bispingen führen – mitten durch das Kartcenter „Ralf Schumacher“, gleich neben einer Skihalle, einem Logistikzentrum, massig Parkplätzen und einer Tankstelle. Geplant ist die Verbindung seit den Sechzigerjahren (!), so plötzlich kommt das Vorhaben also nicht. Trotzdem protestieren die Bürgerinnen und Bürger. Ihr mächtiger Verbündeter: Lars Klingbeil, in dessen Wahlkreis das Gewerbegebiet liegt. Ein besseres, leistungsfähigeres Bahnnetz schön und gut, wenn es aber um die reale Umsetzung geht, wird das Auto plötzlich doch wieder zum „Verkehrsmittel Nummer eins hier im Heidekreis“, wie es der SPD-Chef ausdrückt. Und fordert einen zügigen Ausbau der A7 auf sechs Spuren, die ebenfalls mitten durch seinen Wahlkreis führt, aber für Klingbeil anscheinend weniger Akzeptanzprobleme zu haben scheint.

Diese kaum wieder wettzumachende jahrzehntelange Ausbremsung von Wartung und Ausbau, die auch zwischen Hannover und Hamburg zu Zwangssanierungen und Sperrungen führen wird – von der drängenden Erweiterung des Schienennetzes mal ganz abgesehen – bekommen die Fahrgäste täglich zu spüren: Die Züge sind so teuer und unpünktlich wie noch nie. Wer ernsthaft mit dem Zug verreisen will, muss lange im Voraus buchen und Puffer einplanen. Und, siehe oben, viel Geld beiseite legen.

Hoffnungsträger Deutschlandticket

Umso mehr Hoffnung macht trotz des ganzen Schlamassels der Erfolg des Deutschlandtickets, das seit Mai elf Millionen Mal gebucht wurde. Es gibt also eine riesige Nachfrage nach einer bezahlbaren, zuverlässigen Bahn samt angeschlossenem Nahverkehrssystem. Andere europäische Länder lassen sich davon inspirieren, Slowenien hat ein ähnliches Modell eingeführt, in Frankreich wird darüber nachgedacht. Warum also nicht gleich groß denken: Wann kommt endlich das Europaticket? Also Interrail zu Ende gedacht, günstiger als 100 Euro, finanziert durch eine faire Besteuerung des Luftverkehrs zum Beispiel. Ich würde darauf fliegen.

Kommen Sie gut an Ihr Ziel!

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Unser Autor Thomas Merten fliegt auf die Bahn – doch die Liebe ist teuer
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Thomas Merten
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