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„Rentner blockieren große Wohnungen“, titelte einst Focus Online. Au weia. Zeit für Wohnscham, denn auch ich beziehungsweise wir bewohnen zu zweit knapp 130 klima- und umweltpolitisch verwerfliche Quadratmeter, und das bei dem vor allem in Ballungsräumen herrschenden Wohnraummangel. Zu meiner Verteidigung kann ich vorbringen: kein Auto, weder Flug- noch sonstige Luxusreisen, Erwerbstätigkeit im heimischen Arbeitszimmer schon lange vor der Erfindung des Homeoffice.

Aber ach, die armen Familien! Sollte man nicht besser umziehen? Leichter gesagt als getan. Denn ich bin das einzige Überbleibsel der wechselnden, teils extrem chaotischen Wohngemeinschaften, drei, vier, manchmal auch mehr Leute, die sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vier Zimmer, zwei Abstellkammern, Küche, Bad, Klo und einen übertrieben riesigen Flur teilten. Das heißt: Wir haben einen alten Mietvertrag und daher eine sehr günstige Miete.

Was auch daran liegt, dass wir vor über dreißig Jahren auf eigene Kosten eine, ähem, Gasetagenheizung haben einbauen lassen, nicht ahnend, dass wir uns damit einmal direkt ins Reich des Bösen begeben würden. Damals schien es eine grandiose Idee zu sein, Ersatz für eine noch weit schlimmere Heizart: Kohleöfen (Briketts schleppen! Asche entsorgen! Das Grauen!!); wir blieben im Rasterfeld B4 des Mietenspiegels (mit Bad oder Sammelheizung) und damit bis heute von exorbitanten Mieterhöhungen verschont.

Nehmen wir mal an, wir trügen uns mit Umzugsgedanken. Da würde man sich natürlich nicht unbedingt verschlechtern wollen.

„Ja, das möchtste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast du´s nicht weit.

Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit.“

So märchenhaft wie in Tucholskys Gedicht müsste die Bleibe gar nicht sein. Jedoch: Ein Balkon wäre zur Abwechslung nicht übel, eine weniger laute Umgebung ebenso wenig, aber bitte trotzdem nicht zu weit weg, keinesfalls am Stadtrand und schon gar nicht auf dem Land.

Mal angenommen, man fände was – jede Wette, es wäre eher halb so groß und kaum billiger als unsere derzeitige Wohnung. Nach deren Renovierung könnte die Vermietungsgesellschaft ohne Weiteres die doppelte Miete kassieren, denn die darf ja bei jeder Neuvermietung erhöht werden. Womit niemandem gedient wäre, weil es ja vor allem an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Wohnungstausch – das klingt nicht schlecht, scheitert in der Praxis aber häufig.

Auf dem Land läuft auch nicht alles rund: Das Einfamilienhaus mit Garten, Kugelgrill, Carport, Trampolin und Plantschbecken (gibt es eigentlich noch Jägerzäune und Gartenzwerge?), der ewige Traum der meisten Deutschen, ist aus ökologischer Sicht häufig ein Albtraum, vor allem, wenn es in den Vororten liegt, den „Speckgürteln“ der Städte. Ausufernde Eigenheimsiedlungen, gern errichtet in frisch ausgewiesenen Neubaugebieten, führen zu dem allseits gefürchteten Donut-Effekt in Dörfern und Städten – im Innenbereich Leerstand, außerhalb Siedlungsbrei und Flächenfraß. Wird die Immobilie irgendwann vererbt, heißt es oft: Verkauf, Abriss, Neubau.

Die große Koalition hielt es kurz vor der letzten Bundestagswahl für eine gute Idee, diese Fehlentwicklung in Gestalt von § 13 Baugesetzbuch zu zementieren. Dieser noch relativ neue Paragraph regelt die „Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren“. Umwelt- und sonstige Verträglichkeitsprüfungen für Siedlungserweiterungen am Ortsrand entfallen, es gilt das Mantra „Bauen, bauen, bauen“.

Nicht alle spielen mit. Michael Werner-Boelz (Grüne), Bezirksamtsleiter in Hamburg-Nord, erklärte bei seinem Amtsantritt im Februar 2020, in seinem Bezirk kein Einfamilienhaus mehr genehmigen zu wollen. Die Wohnungsnot lässt sich damit ohnehin nicht beheben, denn so ein Haus kostet in Hamburg leicht mal 800.000 Euro, die man erst mal haben muss. Doch als Anton Hofreiter, damals noch Fraktionschef der Grünen im Bundestag, 2021 in einem Interview danach gefragt wurde und seine Skepsis gegenüber dieser Wohnform erklärte, sorgte das erwartungsgemäß für große Aufregung. Dieses Jahr hat nun auch die Stadt Münster (der Bürgermeister ist von der CDU) beschlossen, den Neubau von freistehenden Einfamilienhäusern zu beschränken, weitere Städte könnten nachziehen.

Patentlösungen sind nicht in Sicht. Interessante Ideen gibt es aber durchaus, von der Nachverdichtung auch bei Einfamilienhäusern, der Verwendung ökologischer Baumaterialien, neuen Wohn- und Arbeitskonzepten wie Coworking Spaces bis zu zügiger Digitalisierung und vielem anderen.

Es müsste eine Bestandsaufnahme her – und ein vernünftiger Gesamtplan. Man ahnt irgendwie, dass das mit den real existierenden und regierenden Parteien schwierig wird. Wenn man an das Gezerre und Gekeife um das Gebäudeenergiegesetz denkt, wird einem ganz anders bei der Vorstellung, es ginge nicht „nur“ um Heizen und Energieverbrauch, sondern um das Wohnen der Zukunft. Dabei ist eins klar: „Weiter so“ ist keine Option.

Also: Wenn jemand eine bezahlbare Wohnung im Innenstadtbereich von Hamburg im Angebot hat, zwischen Schuhschachtel- und Palastgröße, mit Balkon, verkehrsgünstig gelegen, aber nicht an einer viel befahrenen Straße, bitte melden. Nur ernst gemeinte Zuschriften!

Nächste Woche produzieren wir ein neues Greenpeace Magazin. Wir melden uns so bald wie möglich wieder.

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Redakteurin Kerstin Eitner glaubt, dass Bauen allein das Wohnungsproblem nicht lösen wird
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Kerstin Eitner
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