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wir Journalistinnen und Journalisten stehen oft vor einem Dilemma, wenn es um Klimathemen geht: Berichten wir über die ganze Brutalität der Klimakatastrophe, droht die Gefahr, Menschen abzuschrecken. Sie schalten ab. News fatigue, Nachrichtenmüdigkeit also, nennt man dieses Phänomen. Suchen wir stattdessen immer auch den konstruktiven, den positiven Dreh, um „konsumierbar“ zu bleiben, laufen wir Gefahr, zu banalisieren.

Wie viel Apokalypse die Menschen vertragen, ist für uns oft ein Drahtseilakt. Umso wichtiger sind daher all jene guten Nachrichten mit echter Relevanz – die aber seltsamerweise in der Großwetterlage oft untergehen. Zwei dieser Nachrichten erreichten uns vor ein paar Tagen aus Lateinamerika.

Geht doch

In Guatemala – einem Land, in dem die Mehrheit der Menschen in Armut lebt, in dem kritische Stimmen unterdrückt werden und das zu den Top Ten der am härtesten vom Klimawandel betroffenen Staaten zählt – hat am vergangenen Sonntag Bernardo Arévalo die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Das ist aus vielerlei Hinsicht erstaunlich, denn mit ihm haben die Menschen einen noch vor wenigen Wochen weitgehend unbedeutenden Abgeordneten zum Staatsoberhaupt gewählt und sich gegen die etablierten Eliten gestellt. Angetreten ist Arévalo mit dem Versprechen, die Korruption zu bekämpfen und sich für die Rechte der sozial Schwächeren und die indigene Bevölkerung einzusetzen.

Sein Sieg ist aber deswegen auch erstaunlich, weil er und seine 2018 gegründete Movimiento Semilla (Samen-Bewegung) den Klima- und Umweltschutz auf die öffentliche Agenda gesetzt haben – ein Thema, das die anderen Parteien bislang links liegen ließen. Doch die zunehmend heftigeren Hurrikans, Dürren und die fortschreitende Umweltzerstörung scheinen die Bevölkerung deutlich mehr zu beschäftigen als ihre Regierenden.

Auch in Ecuador hat sich am vergangenen Sonntag Bemerkenswertes abgespielt: Dort stimmten die Menschen per Referendum über den Stopp der Ölförderung im Naturpark Yasuní im Amazonasgebiet ab. Vor rund zwanzig Jahren hatte der damalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa dem globalen Norden ein Angebot gemacht: Cash nicht für Öl, sondern für Natur, also dafür, dass Ecuador das Öl dem Klima zuliebe im Boden von Yasuní lässt. Rund 3,6 Milliarden Dollar sollte das die reichen Länder kosten. Der Deal aber platzte – und Correa ließ bohren.

Viele Menschen in Ecuador wollten dies nicht hinnehmen, eine jahrelange Auseinandersetzung folgte, bis zum Finale am Sonntag: Sechzig Prozent votierten für den Stopp der Förderung, obwohl das Öl eine wichtige Einnahmequelle des von multiplen Krisen gebeutelten Landes ist. Bis Ende 2024 müssen die Pumpen nun stillstehen, alle Rohre versiegelt werden.

Und so geht’s nicht

Beim Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter ist Ecuador damit einen Schritt weiter als Europa. Wie sehr hier nach wie vor auf Öl und Gas gesetzt wird, zeigt eine aktuelle Studie von Greenpeace. Demnach nutzen europäische Ölkonzerne wie Shell, BP, Total Energies und der deutsche Öl- und Gasproduzent Wintershall Dea ihre jüngsten Rekordgewinne, um weiter fossile Vorkommen auszubeuten. Erschütternde 93 Prozent der Investitionen flossen im vergangenen Jahr in entsprechende Projekte, nur sieben Prozent in erneuerbare Energien.

Dass die Ölindustrie nicht strenger reguliert wird – und sich die Regierungen auf den alljährlichen Klimakonferenzen nicht auf einen Förderstopp einigen, zeugt von einem schiefen globalen Kräfteverhältnis. Über die Macht der fossilen Konzerne berichten wir auch in unserem aktuellen Heft. Wenn Sie die Ausgabe Die Dunkelmänner noch nicht kennen, lege ich sie Ihnen sehr ans Herz. Bestellen können Sie das Heft hier, ein Abo abschließen hier.

Verzeihen Sie bitte, nun bin ich doch wieder auf die schlechten Nachrichten zu sprechen gekommen. Aber wenn wir schon mal dabei sind: Wie dringend ein Fahrplan für den Ausstieg aus den Fossilen ist, zeigt nicht zuletzt der lang erwartete Projektionsbericht 2023, in dem das Umweltbundesamt berechnet, ob Deutschland die Klimaschutzziele für 2030 und 2045 erreicht. Anhand dieser Prognose muss die Bundesregierung erklären, ob die aktuelle Politik ausreicht – oder eben nicht.

Das Urteil ist eindeutig: Die 130 Maßnahmen, mit denen sich die Ampel-Koalition brüstet, reichen bei Weitem nicht. Zwar führen sie zu deutlich mehr Einsparungen als in früheren Zeiten, das sollte man Rot-Gelb-Grün zugestehen. Doch am Ende bleibt der Maßstab nicht die vorherige Regierung, sondern die gesetzten Klimaschutzziele – und die werden weiterhin verfehlt, insbesondere in den Sektoren, in denen viel Öl und Gas verbrannt wird: Verkehr, Gebäude, Industrie.

Wir müssen reden

Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben der aktuellen Bundesregierung schon letzte Woche ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Wir haben Sie gefragt, ob die Ampel-Koalition aus Ihrer Sicht genug für den Klimaschutz tut. Sie haben fleißig abgestimmt, und das Ergebnis ist eindeutig: 92 Prozent stimmten mit Nein. Ähnlich haben Sie auf die Fragen geantwortet, ob die Wirtschaft (91 Prozent Nein) und die Bevölkerung (95 Prozent Nein) genug gegen die Klimakrise unternehmen.

Oft fragen wir uns in Redaktionskonferenzen, ob Sie uns aufgrund negativer Nachrichten und kritischer Analysen manchmal lieber nicht lesen. Oder anders gefragt: Meiden Sie aufgrund der vielen Krisenmeldungen die Nachrichten? Das würden wir diesmal gerne von Ihnen wissen. Hier geht es zur Abstimmung. Das Ergebnis erfahren Sie in der nächsten Wochenauslese.

Auch persönlich würden wir gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen. Was mögen Sie am Magazin? Was weniger? Welche Themen schätzen, welche vermissen Sie? Was bewegt Sie gerade? Erstmals werden wir dazu eine kleine Videokonferenz abhalten. Wenn Sie Lust haben, uns Ihre Meinung zu sagen oder uns besser kennenzulernen, melden Sie sich gern per Mail an unter: gpm@greenpeace-magazin.de – oder antworten Sie einfach auf diesen Newsletter. Bitte schreiben Sie uns kurz, warum Sie gern teilnehmen möchten, wir schicken Ihnen dann eine Einladung. Unter den Einsendern verlosen wir Geschenke aus unserem Warenhaus. Es lohnt sich also auf jeden Fall, sich bei uns zu melden. Wir freuen uns auf Sie!

Ihnen wünsche ich nun erstmal ein schönes Wochenende! 

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gerne weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Wenn Sie auch gerne unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimaschutzthemen zugeschickt bekommen wollen, sollten Sie sich hier dafür eintragen – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

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Frauke Ladleif
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