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Als Gastgeber des G20-Gipfels wollte Saudi-Arabien sein Image aufpolieren - nach anhaltender Kritik wegen der Menschenrechtslage im Land. Wegen Corona findet das Treffen nur virtuell statt. Und der Kronprinz verpasst die Chance, anderen den roten Teppich auszurollen.

Riad (dpa) - Zum Beispiel Akl al-Bahili: Der Journalist hatte im April sein Beileid bekundet nach dem den Tod eines Menschenrechtlers in Saudi-Arabien - mit einem einzigen Tweet, den er später löschte. Kurz darauf wurde er der Organisation ALQST zufolge festgenommen. Oder Amani al-Sain: Nachdem ein Video auftauchte, in dem die Aktivistin Witze über Kronprinz Mohammed bin Salman macht, nahmen saudische Behörden sie im Mai fest. Von beiden fehlt jede Spur.

Kaum ein Land beschränkt die Freiheiten und Rechte seiner Bürger so stark wie das Königreich am Persischen Golf. Sämtliche Macht liegt in dieser absoluten Monarchie bei der Herrscherfamilie und Kronprinz Mohammed, vom Volk gewählte Vertreter auf nationaler Ebene gibt es nicht. Abweichende Meinungen werden kriminalisiert, Andersdenkende - etwa Befürworter stärkerer Frauenrechte - eingesperrt. Im Land lebende Kritiker haben wegen der allgegenwärtigen Überwachung Angst, mit Organisationen oder Journalisten im Ausland zu sprechen.

In diesem Klima lädt Saudi-Arabien am Samstag und Sonntag nun zum G20-Gipfel, der wegen der Corona-Pandemie dieses Jahr nur per Video stattfindet. Als «sehr traurig» und «hart» bezeichnet Chalid Ibrahim, Direktor des Gulf Centre for Human Rights (GCHR), die - wenn auch nur virtuelle - Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs. Ein Staat, der Menschen wegen «kritischer Tweets verschwinden» und «friedliche Demonstranten hinrichten» lasse, dürfe keine solche Bühne bekommen, sagt Ibrahim der Deutschen Presse-Agentur.

In der G20-Gruppe, bestehend aus den 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern sowie der EU, gibt es auch andere Problemkandidaten mit Blick auf die Menschenrechte wie China, Russland und die Türkei. Die US-Organisation Freedom House stuft Saudi-Arabien aber noch schlechter ein. In deren Ranking folgen hinter dem erzkonservativen Wüstenstaat nur noch einige Länder wie Nordkorea und Syrien, in denen es mit Blick auf politische Freiheiten finster aussieht. Auch wegen seiner Bombardements im Jemen steht Saudi-Arabien in der Kritik.

Die meisten westlichen Staaten fahren inzwischen eine zweigleisige Strategie, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik: einerseits Distanz zum Kronprinzen, den Kritiker auch als Drahtzieher für den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi sehen, und zugleich möglichst normale Arbeitsbeziehungen mit der Regierung in Riad. «Saudi-Arabien ist ein prowestliches Land, faktisch verbündet mit den USA und damit auch mit den Europäern», sagt Steinberg. Für Deutschland seien die Handelsbeziehungen und zunehmend auch die Investitionen aus Saudi-Arabien sehr wichtig.

Einmischung von außen will die saudische Regierung ohnehin nicht gelten lassen. «Ihr habt eure Gesetze, wir haben unsere Gesetze», sagt der saudische Staatsminister für Auswärtiges, Adel al-Dschubair, der Deutschen Presse-Agentur etwa mit Blick auf die Todesstrafe in Saudi-Arabien. 184 Menschen wurden dort nach Recherchen von Amnesty International 2019 teils öffentlich hingerichtet, auch Körperstrafen sind möglich. Deutschland würde ja auch kein Alkoholverbot in Hotels verhängen, weil dies in Saudi-Arabien gelte, sagt Al-Dschubair.

Das Königreich hat viel Geld ausgegeben, um sein Image zu polieren und sich den Anstrich eines weltoffenen Landes zu geben. Superstars wie Enrique Iglesias und Mariah Carey gaben Popkonzerte, Sportfans verfolgten Golfturniere, den Kampf zwischen Schwergewichtsboxern und die Rallye Dakar. Auch der G20-Gipfel - der erste in der arabischen Welt - sollte das Land in ein freundliches Licht rücken. Auf Fotos vom Handschlag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel oder US-Präsident Donald Trump muss der Kronprinz wegen Corona nun aber verzichten.

Im Programm zum Gipfel ist von einer «Stärkung von Frauen» die Rede, darunter auch Initiativen zu Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen. «Scheinheilig» nennt das die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Diejenigen, die echte Veränderungen anstoßen wollten, säßen im Gefängnis. Frauenrechtlerinnen wie Ludschain al-Hathlul, Nassima al-Sada, Samar Badawi und andere müssten freigelassen werden.

Nahost-Experte Steinberg bemerkt, dass Kronprinz Mohammed durchaus ein «durchgreifendes soziales und wirtschaftliches Reformprogramm» in Saudi-Arabien angestoßen habe - aber eben verbunden mit einer klaren Stärkung autoritärer Strukturen. «Denken Sie nur an Mustafa Kemal Atatürk», sagt Steinberg mit Blick auf den 1938 verstorbenen Gründer der türkischen Republik. «Das war auch ein extrem autoritärer Herrscher, der die Türkei ins 21. Jahrhundert geführt hat.»

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