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Wen würden die Deutschen wählen, wovor haben sie Angst und was halten sie von Gartenzwergen? Das Institut für Demoskopie in Allensbach liefert mit Umfragen seit 75 Jahren Antworten. Kritik daran gibt es immer wieder - nach Ansicht der Leiterin derzeit aber nicht genug.

Allensbach (dpa) - Als das Allensbacher Institut für Demoskopie (IfD) im Jahr 1965 sein «Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958 - 1964» veröffentlichte, stießen die gesammelten Umfrage-Ergebnisse vom Bodensee beim «Spiegel» auf wenig Gegenliebe. «Eher ein magisches als ein wissenschaftliches Instrument», befand der Rezensent des Buchs. «Es gleicht einem Orakel.» Formulierung der Fragen, stillschweigende Annahmen, ein unüberprüfbarer Kontext - überall lägen Fehlerquellen.

57 Jahre später, kurz vor dem 75. Geburtstag des Instituts, würde sich dessen Leiterin, so macht sie es deutlich, über mehr fachliche Kritik freuen. «Woran erkennt man Qualität bei Umfragen und welche Kriterien braucht man, um das einschätzen zu können? Da würden wir uns mehr Kritik wünschen», sagt Geschäftsführerin Renate Köcher, Nachfolgerin von IfD-Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann. «Es ist viel zu wenig Interesse auch von Auftraggebern da, sich mit Methoden auseinanderzusetzen.»

Was die Umsatzstärke angeht, spielt Allensbach in der Branche der Meinungs- und Marktforschung zwar keine Spitzenrolle. Doch das IfD ist das älteste und nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung eines der bekanntesten Meinungsforschungsinstitute in Deutschland, die auch für politische Organisationen arbeiten. Dazu gehören auch TNS Emnid in Bielefeld, Infratest dimap und Forsa in Berlin, Infas in Bonn und die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen.

Politiker, Anwälte und Firmen setzen heute auf die Meinungsforscher aus Allensbach, um Rückmeldungen aus der Bevölkerung zu bekommen. Die Umfrage-Ergebnisse vom Bodensee spielen nicht nur in den Medien eine Rolle, sondern auch bei Geschäftsstrategien und Rechtsstreitigkeiten - zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, wie bekannt ein bestimmter Markenname ist. Allensbach-Umfragen gelten dann als Beweismittel.

Auf ihre Methoden sind sie deshalb stolz am Bodensee. Wen würden die Deutschen wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre? Wie optimistisch blicken sie auf das nächste Jahr? Wie zufrieden sind die Kunden mit dem Leistungsspektrum ihrer Bank? Seit Jahrzehnten beschäftigt sich im IfD ein eigenes Gremium mit der Formulierung und Anordnung solcher Fragen: die normalerweise drei-, derzeit zweiköpfige Fragebogenkonferenz.

Die 2010 verstorbene Gründerin Noelle-Neumann sei überzeugt gewesen, «dass es eine einzelne Person nicht schafft, die eigene Meinung dabei rauszuhalten», sagt der Sprachwissenschaftler Andreas Fischer, der mit der Politikwissenschaftlerin Caroline Reichold die Konferenz bildet. «Wenn man das schlecht macht, kann man die Antworten beeinflussen. Wir ringen deshalb auch mal bis zu zwei Stunden um eine Frage. Und jeder Fragebogen wird noch mal einem sorgfältigen Test unterzogen.»

Fischer und Reichold müssen sich einigen: Ist die Frage verständlich? Muss mehr erklärt werden? Könnten die Erklärung oder manche Begriffe die Antworten beeinflussen? «Die Fragen müssen bei repräsentativen Umfragen für alle Menschen passen», sagt Reichold. «Sie dürfen die einen nicht unterfordern, die anderen aber auch nicht überfordern.»

Wem die Fragen gestellt werden sollen, bestimmt Statistiker Heinz Behme. «Wir geben den Interviewern klare Vorgaben: wie viele Befragte, Geschlecht, Alter, Berufskreise.» Mit diesen Quoten will das Institut sicherstellen, dass der Kreis der Befragten anteilig die deutsche Bevölkerung repräsentiert. Stehen die Vorgaben, können etwa 1000 Interviewer in ganz Deutschland Fragen stellen - in den meisten Fällen wie schon seit der Gründung 1947 in persönlichen Gesprächen.

«Es gibt mittlerweile nur noch wenige Institute, die so ein großes Interviewer-Netz haben», sagt Geschäftsführerin Köcher. Es werde zwar immer schwieriger, Interviewer zu rekrutieren. Beibehalten wolle man das Vorgehen dennoch - weil sich Interviews, die in die Tiefe gehen und länger dauern, am besten von Angesicht zu Angesicht führen lassen. Zudem führten Online-Umfragen teils zu anderen Ergebnissen, ohne dass die Abweichungen bisher ausreichend geklärt seien.

So habe man mit «Face to face»-Befragungen das Abschneiden der Union bei der Bundestagswahl 2021 besser vorhersagen können als mit einer Online-Umfrage, sagt Köcher. «Wir möchten alle Befragungsmethoden nutzen, aber wir möchten uns auf sicherem Fundament befinden.» Gerade in einer Zeit, in der jeder einen Fragebogen ins Internet stellen könne, sei es wichtig, auf Wissenschaftlichkeit zu achten.

«Ich würde sagen, dass es eine Inflation von Umfragedaten gibt - und nicht alles davon macht wirklich Sinn oder hat Informationswert», sagt Köcher. «Wenn wir uns auf so oberflächliche Fast-Food-Demoskopie fokussieren würden, dann bräuchte es uns nicht.»

Um dabei alle Fragestellungen zu dokumentieren, wird in Allensbach seit 1947 auf die Archivierung aller Umfragen geachtet. Denen zufolge befürwortete eine Mehrheit der Deutschen 1949 die Todesstrafe - und hatten deutsche Frauen im Jahr 1979 deutlich weniger Respekt vor ihren Männern als 26 Jahre zuvor.

Langzeittrends zeigen zu können, sei eine besondere Stärke des Instituts, sagt Köcher, zum Beispiel bei der Sensibilisierung für Umwelt- und Klimaschutz oder dem Informations- und Kommunikationsverhalten der Bevölkerung. Aus solchen Trends ließen sich dann teilweise auch Prognosen für die Zukunft ableiten. In diesem Sinne gebe es zumindest eine Verbindung zum «Orakel».

Der «Spiegel»-Rezensent verband damit 1965 dagegen etwas anderes: «Demoskopische Befragungen werden im Allgemeinen in Auftrag gegeben: Der Unwissende bringt den Priestern von Allensbach seine Opfergaben dar und stellt seine Fragen.» Dort gebe man «die Fragen an eine höhere Instanz weiter, an die Stimme Gottes, die im Jargon der Demoskopen «repräsentativer Querschnitt» heißt». Bei den Antworten sei es dann «unmöglich zu sagen, welchen Anteil am Orakelspruch die Gottheit und welchen die Priesterschaft hat».

Meinungsforscher, die durch ihre Fragen Ergebnisse beeinflussen? «Das wäre die Todsünde», entgegnet Köcher. Deshalb achte man in Allensbach ja so sehr auf die Entwicklung der Fragebögen.

Hin und wieder landen dort aber auch Themen, hinter denen kein Auftraggeber steht. So fragen die Meinungsforscher schon seit Jahrzehnten immer wieder, wie die Deutschen zu Gartenzwergen stehen - zur Unterhaltung des Instituts und der Befragten. Die Beliebtheit der Figuren ist den Umfragen zufolge übrigens gesunken: Liebten in den 1960er Jahren noch zwei Drittel der Bundesbürger ihren Gartenzwerg, waren es kurz nach der Jahrtausendwende nur noch 40 Prozent.

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