Rutschpartie

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sieht man von der höchstwahrscheinlich von der Klimakrise mitverursachten Hochwasserlage ab, legt das Jahr 2024 einen ziemlich glatten Start hin, jedenfalls auf Straßen, Geh- und Fahrradwegen. Huch, Schnee und Eis! Wo sich niemand fürs Räumen oder Streuen zuständig fühlt, entstehen fiese Buckelpisten. Ohne Spikes unter den Schuhen wird es schwierig.

Um meiner Räumpflicht Genüge zu tun, habe ich zum Auftakt ein paar gute Nachrichten aus dem Jahr 2023 zusammengefegt: Einen Booster für Erneuerbare, einen bereits erreichten oder bevorstehenden Wendepunkt bei den Emissionen aus der Energieerzeugung, Fortschritte bei der Bekämpfung von Plastikverschmutzung, ein Abkommen zum Schutz der Ozeane, das und mehr finden Sie hier.

In Deutschland stammte die Energie zur Stromerzeugung erstmals zu mehr als der Hälfte, 56 Prozent laut Bundesnetzagentur, aus Wind, Sonne und Wasser. Portugal schaffte es letztes Jahr, das ganze Land sechs Tage am Stück mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Und apropos Hochwasser: Das Konzept der Schwammstadt greift immer mehr um sich, wie dieses Beispiel aus China zeigt.

Weil aber 2023 auch das heißeste Jahr aller Zeiten war und die Erde zum ersten Mal an der magischen 1,5-Grad-Grenze gekratzt hat, wobei es nicht bleiben wird, müssen wir uns leider auch auf Verluste einstellen. Gletscher, Permafrost, Skigebiete – für die wird es eng.

Die Niederlande, schreibt der US-Autor Benjamin Moser, werden sich wohl mit dem endgültigen Aus für eine alte Tradition abfinden müssen, die Elfstedentocht. Diese Elfstädtetour, ein Langstreckenrennen über fast 200 Kilometer auf Natureis in der Provinz Friesland, gibt es offiziell seit 1909, inoffiziell gab es sie bereits im 18. und 19. Jahrhundert. Sie führt über zugefrorene Kanäle, Flüsse und Seen und ist ein kulturelles Großereignis mit Volksfestcharakter, nicht nur für Friesland.

Zuletzt wurde sie am 4. Januar 1997 ausgerichtet. Zwar gab es auch früher schon mehrjährige Pausen zwischen den Touren, denn natürlich friert es nicht jeden Winter so kräftig und anhaltend, dass das Eis wie vorgeschrieben auf der gesamten Strecke fünfzehn Zentimeter dick ist.

Über ein Vierteljahrhundert ohne Elfstedentocht, das ist allerdings außergewöhnlich – oder vielleicht auch nicht, so Moser, der seit über zwanzig Jahren in den Niederlanden lebt. Niemand traue sich jedoch, öffentlich zu verkünden, dass es ein Abschied für immer sein könnte. Als wäre jemand vor vielen Jahren mit einem Kleinflugzeug abgestürzt und nie gefunden worden, und die Verwandten hofften immer noch, dass die vermisste Person plötzlich wieder auftaucht.

So ähnlich sei es auch mit dem Verschwinden einer vertrauten Lebensweise: dem, was man sich gemeinhin unter Landwirtschaft vorstellt. Denn längst sei alles Beschauliche und Idyllische daraus verschwunden (geschildert auch in dem überaus lesenswerten Buch „Wie Gott verschwand aus Jorwerd“ von Geert Mak). Landwirtschaft sei ein weitgehend hochindustrialisiertes und -subventioniertes Geschäft. Ob die Trauer über das Ende der Elfstedentocht die Erkenntnis befördern könnte, dass Inaktivität beim Klimaschutz ihren Preis hat?, fragt sich der Autor.

Mag sein. Aber der bäuerliche Frust sitzt sehr tief. Hierzulande reicht er weit zurück in die Vorampelzeit, und der korrekte Adressat wäre Brüssel, denn dort wird die Landwirtschaftspolitik gemacht. Andererseits bezieht mancher Hof bis zur Hälfte seines Jahreseinkommens aus dem Subventionstopf, der ein Drittel des EU-Gesamtbudgets verschlingt.

Im Grunde ein zweifelhaftes Geschäftsmodell, und doch reicht das Geld offenbar nicht, um alle Vorgaben zu erfüllen. Preisdiktate von Molkereien, Schlachtbetrieben und Handel, explodierende Boden- und steigende Energiepreise, Inflation, Auflagen, Bürokratie – Bäuerinnen und Bauern sehen sich vielen Zwängen unterworfen und finden, wie sie sagen, kaum Gehör bei der Politik.

Außer natürlich bei der AfD und anderen Rechtsextremen, die frohgemut auf der Protestwelle surfen. Dabei kommen dann Sachen raus wie Schilder mit einer Ampel am Galgen oder die Fährblockade in Schlüttsiel – der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck muss derzeit als Watschenmann für alles herhalten, was irgendwie schiefläuft. „Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt“, sagte der Minister in einem in sozialen Medien veröffentlichten Video. Wohl wahr. Gegen diese Art von fiesen Buckelpisten helfen auch keine Spikes.

Wer nun aber glaubt, mit der AfD würde irgendwas besser, müsste eigentlich auch von der Existenz von Einhörnern überzeugt sein. Was dem Land unter einem AfD-Regime blühen könnte, zeigt das jüngst aufgedeckte Geheimtreffen von Menschen aus AfD-, Neonazi- und Unternehmenskreisen im letzten November nahe Potsdam: nichts weniger als millionenfache Deportationen, chemisch reiner Rassismus.

Da müssen sich viele landwirtschaftlichen Betriebe wohl schon mal Gedanken machen, wer dann die Knochenjobs der Saisonarbeiter auf den Gurkenfliegern, bei der Spargelernte oder der Weinlese übernehmen soll.

Wie es auch ganz anders gehen könnte in der Landwirtschaft, zeigt unsere vierteilige Multimedia-Reportage „Boden Burnout“.

Ich wünsche Ihnen ein entspanntes Wochenende ohne Bahnstreik, Treckerblockaden und Glatteis!

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Redakteurin Kerstin Eitner schlittert mit gemischten Gefühlen ins neue Jahr
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Kerstin Eitner
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