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zumindest virtuell dürften am Donnerstag beim schwedischen Energiekonzern Vattenfall die Sektkorken geknallt haben: Das Bundesverfassungsgericht hat seiner Klage stattgegeben und verlangt eine Neuregelung des finanziellen Ausgleichs für den 2011 beschlossenen Atomausstieg. Den hatte Karlsruhe 2016 zwar für grundsätzlich zulässig erklärt, jedoch gefordert, bis 2018 müsse in einer Novelle des Atomgesetzes geregelt werden, welcher Energieversorger für welche Reaktoren Entschädigung bekommt, sowohl für entgangene Gewinne als auch für getätigte Investitionen. Diese Gesetzesänderung aber, so das Urteil vom Donnerstag, sei schlecht gemacht und wegen der fehlenden formalen Zustimmung der EU-Kommission gar nicht erst in Kraft getreten.

Wie konnte es überhaupt zu dieser juristischen Peinlichkeit kommen? Kurze Rückblende: Am 28. Oktober 2010 beschloss der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Abgeordneten von CDU/CSU und FDP die elfte Änderung des Atomgesetzes zugunsten der angeblich unentbehrlichen „Brückentechnologie“, sprich: den Ausstieg vom 2002 beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie, den die rot-grüne Regierung mit den Energieversorgern rechtssicher verhandelt hatte. Nach dem Willen von Schwarz-Gelb sollten die 17 deutschen Atommeiler nun stattdessen durchschnittlich 12 Jahre länger am Netz bleiben dürfen.

Es wurde eine sehr kurze Laufzeitverlängerung. Schon am 14. März 2011, drei Tage nach dem durch ein schweres Erdbeben und einen Tsunami ausgelösten Super-GAU im japanischen AKW Fukushima Daiichi, vollführte die Bundesregierung eine Kehrtwende und erließ zunächst ein dreimonatiges Moratorium für den Betrieb einiger AKW, aus dem dann recht zügig der endgültige Ausstieg aus der Technologie wurde. Dieses Hin und Her hat nach Meinung des früheren Umweltministers Jürgen Trittin (Grüne), der den Ausstiegskonsens mit den AKW-Betreibern ausgehandelt hatte, die Entschädigungsansprüche überhaupt erst ausgelöst. Und ein SPD-Abgeordneter twitterte, Vattenfall möge seine Rechnung doch bitte direkt an die CDU-Zentrale schicken – wobei allerdings die Frage erlaubt sein muss, wer denn 2018 auch an der Regierung war und somit die schlampig zusammengezimmerte Novelle mitverantwortet. Die SPD vielleicht?

Bemängelt hatte das Gericht auch, dass der Konzern vor einer Entschädigung erst einmal versuchen sollte, die Reststrommengen, die ihm laut Gesetz für jeden Reaktor zustanden, bei der Konkurrenz loszuwerden. Aber bei welcher? Ein Markt existiert dafür de facto nicht. Auf eigene noch laufende Atomkraftwerke kann Vattenfall sie auch nicht verteilen, denn seine beiden Meiler in Krümmel und Brunsbüttel sind seit vielen Jahren nicht mehr am Netz.

Da wird es allerdings interessant, denn die beiden Anlagen hatten technische Mängel und waren störanfällig. Fraglich, ob sie überhaupt je wieder hochgefahren worden wären. Noch krasser sieht es bei RWE aus. Der Konzern hat sich bereits sehr erfreut über das Urteil gezeigt. Er hat nämlich noch eine Altlast namens Mülheim-Kärlich (Volksmund: Mülheim-Kläglich), einen Reaktor, der überhaupt nur 100 Tage im Regelbetrieb gelaufen ist und wegen einer fehlerhaften Baugenehmigung (ursprünglich sollte es in einer potenziellen Erdbebenzone errichtet werden, dann wurde es kurzerhand um 70 Meter verschoben) schon 1988 vom Netz genommen wurde. 2004 begann der Abriss. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Bilder von der Sprengung des Kühlturms im letzten Jahr. Aber es wäre doch gelacht, wenn man aus so einer Atomruine nicht noch ein paar Millionen Entschädigung rausquetschen könnte.

Wenn Sie jetzt denken: Irre, diese Atomkraft – erst fahre ich damit schöne Gewinne ein, dann kassiere ich Entschädigungszahlungen aus Steuermitteln, und die Entsorgung bleibt langfristig auch bei der Allgemeinheit hängen –, dann haben Sie völlig recht. Aber das ist noch längst nicht alles. Vattenfall hat schon vor Jahren vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington geklagt. Da geht es dann nicht mehr um läppische Beträge von ein paar hundert Millionen Euro, sondern um rund sechs Milliarden. Zwischen 1991 und 2018 haben Öl-, Kohle- und Atomkraftbetreiber sich dort schon das schöne Sümmchen von 50 Milliarden US-Dollar (gut 42 Milliarden Euro) erklagt. Ja, das ist völlig legal. Ob es legitim ist, steht auf einem anderen Blatt.

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Kerstin Eitner
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