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vor mehr als einem Jahr – als Corona bloß eine Biermarke war – wollte ich für mein Fußballteam herausfinden, welcher Sportartikelhersteller fair und ökologisch produzierte Trikots anbietet. Wir brauchten neue, weil unser Team sich vergrößert hatte. Ich recherchierte, las hübsch aufgeschriebene Unternehmensleitlinien, schrieb Hersteller an – war aber mit keinem so richtig zufrieden. Mir zeigte die Recherche einmal mehr: Auch wenn man noch so verantwortungsvoll konsumieren möchte, mangels echter Alternativen bleibt die Marktmacht als Verbraucherin beschränkt, wenn es darum geht, ökologische und soziale Missstände zu beseitigen.

Viel wirkungsvoller ist es, Unternehmen dafür politisch in die Pflicht zu nehmen. Zum Beispiel durch ein gescheites „Lieferkettengesetz“. Die Bundesregierung möchte ein solches nun tatsächlich auf den Weg bringen, zumindest dem Namen nach. Vergangenen Freitag verkündeten die zuständigen Minister, sie hätten sich auf einen Kompromiss verständigt. Dem war ein jahrelanger Streit vorausgegangen, mit recht interessanten Allianzen. So verfolgten Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gemeinsam das Ziel, dass deutsche Unternehmen die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette überprüfen sollten. Gemeint waren wirklich alle Teile der Kette – also auch der Schutz jener Menschen, die unter widrigsten Bedingungen schuften, wie zum Beispiel die Kobaltschürfer in den Minen des Kongo. 

Die beiden Minister hatten jedoch einen zähen Gegenspieler – aus Müllers Schwesterpartei, der CDU. Wirtschaftsminister Peter Altmaier gerierte sich als Cheflobbyist der Wirtschaftsverbände und klopfte den Müller-Heil-Vorschlag beharrlich weich, bis aus dem Lieferkettengesetz eher ein Liefergesetz wurde – oder ein geliefertes Gesetz.

Denn der Kompromiss, der nun im Raum steht, sieht vor, dass deutsche Unternehmen zunächst nur für ihre direkten Zulieferer verantwortlich sein sollen, nicht aber für die Zulieferer der Zulieferer, die am Anfang der Kette stehen – also die Kobaltschürfer im Kongo oder die Näherinnen in Bangladesch. Und: Opfer von Menschenrechtsverstößen können weiterhin nicht – wie ursprünglich vorgesehen – vor deutschen Gerichten Schadenersatz für ihr Leid einklagen.

Aber sollte es nicht in erster Linie um den Schutz des schwächsten Glieds gehen? Um eben den vorderen Teil der Kette, wo Menschen ausgebeutet und Flüsse vergiftet werden für unsere Handys und Trikots? Nichts sagt der Kompromiss bislang auch darüber aus, was als Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten der Unternehmen gilt. „Nur“ Kinderarbeit oder auch Hungerlöhne?

Die vergifteten Flüsse – das zeigt sich schon jetzt – werden wohl überhaupt nicht zu ihrem Recht kommen. Denn Umweltzerstörung ohne direkten Menschenrechtsbezug spielt in dem Kompromiss keine Rolle mehr. Insbesondere Umweltverbände sind empört. Dabei sollte doch in Zeiten von Klima- und Biodiversitätskrise längst auch dem letzten Wirtschaftspolitiker klar sein, dass eine gesunde Umwelt ein kostbarer Wert an sich ist – und dass es am Ende um unser aller Überleben geht. 

Apropos: Auch beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sind schwere Umweltverbrechen kein eigener Tatbestand, sondern werden nur im Rahmen von Kriegsverbrechen erwähnt. Im Römischen Statut von 2002, auf dem die Arbeit des Gerichts basiert, sind als „Verbrechen gegen den Frieden“ vier Tatbestände festgeschrieben: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression.

Ursprünglich sollte auch der Ökozid – also die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlage von Menschen und Völkern – als fünftes Verbrechen aufgenommen werden. Doch er verschwand „unter mysteriösen Umständen“ aus dem Verhandlungstext, wie die Organisation Human Rights Consortium aufdeckte.

Dessen ungeachtet haben nun die Anführer zweier indigener Völker in Den Haag eine Klage gegen Jair Bolsonaro eingereicht. Sie wollen, dass der Strafgerichtshof den rechtspopulistischen Präsidenten Brasiliens wegen „Ökozid“ verurteilt: Bolsonaro zerstöre systematisch den Amazonas-Regenwald und vertreibe gewaltsam die Bevölkerung vor Ort. Mit der Beschwerde wollen die Indigenen einen Präzedenzfall schaffen – denn ein Ökozid ist schließlich mindestens auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Mit derlei schwerer Kost möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, jedoch nicht ins Wochenende entlassen. Verzeihen Sie mir den harten Bruch, aber vielleicht möchten Sie ja noch erfahren, wie sich mein Team bei der Trikotsfrage entschieden hat. Am Ende war es ganz einfach: Statt einen komplett neuen Trikotsatz zu kaufen, haben wir den alten um drei neue Einzelstücke ergänzt. Ressourcenschonender geht es wohl kaum. Allerdings kamen diese Trikots bisher nur in genau drei Spielen zum Einsatz, seit Ende Oktober dürfen wir coronabedingt nicht mehr auf den Platz. Einziger Vorteil: Ich kann nun schon seit Monaten prahlen, dass ich im letzten Punktspiel drei Tore geschossen habe.

Ich wünsche Ihnen ein schönes frühlingshaftes Wochenende, auf dass uns die Wintermüdigkeit – und die Pandemiemüdigkeit gleich mit – aus den Gliedern weicht.

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Anje Jager
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Unsere Autorin Frauke Ladleif wundert sich über ein Lieferkettengesetz, das keines ist
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Frauke Ladleif
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